FDGB-Pokal 1961/62 - Finale: SC Chemie Halle - SC Dynamo Berlin 3:1

Mit beherztem Pokalstil SC Dynamo geschlagen / Die "taktische" Angriffsvariante der Dynamo-Elf blieb ohne jeden Nutzeffekt / Urbanczyk und G. Hoffmann verurteilten Schmidt und Klingbiel zur Wirkungslosigkeit / Erfolglose Angriffsbemühungen von Schröter, Maschke und Mühlbächer
Der FDGB-Pokalsieger des Fußballjahres 1961/62 wurde am Pfingstsonnabend im Karl-Marx-Städter Ernst-Thälmann-Stadion mit dem SC Chemie Halle nach einer bewegten Auseinandersetzung gekürt. Nicht zu Unrecht durften die glücklichen Hallenser Jungen die Pokaltrophäe, die Ihnen vom Mitglied des Präsidiums des FDGB-Bundesvorstandes Schönfelder, DTSB-Sekretär Franz Rydz, DFV-Präsident Helmut Riedel und den beiden Spielern unseres vorjährigen Pokalsiegers, Siegfried Woitzat und Waldi Eglmeyer vom SC Motor Jena, überreicht wurde, in Empfang nehmen. Der Sieg über den SC Dynamo Berlin bedeutete zugleich den zweiten Pokalerfolg der Hallenser, die bereits 1956 im Endspiel gegen den ASK Vorwärts Berlin mit 2:1 die Oberhand behalten hatten. Mit einem Überraschungsangriff unmittelbar nach dem Anpfiff legte es der SC Dynamo offensichtlich darauf an, einen sofortigen Torerfolg und damit zugleich eine frühzeitige Entscheidung zu erzielen.

Schmidt stürmte in der Erwartung eines Steilpasses in die gegnerische Hälfte, doch bereits im Ansatz blieb der Angriff stecken, weil sich die Abwehr des SC Chemie von Beginn an derart kompromißlos ihrer Deckungsaufgaben widmete, daß der Berliner Angriffsreihe keine Entfaltungsmöglichkeiten gelassen wurden. Und hier offenbarte sich bereits eine taktische Unzulänglichkeit der Dynamo-Elf, die allerdings als "taktischer Kunstgriff" verstanden werden sollte. Mit der Variante, die etatmäßigen Halbstürmer Schröter und Quest auf den Außenstürmerpositionen aufzubieten und dafür die sonstigen Flügelstürmer Schmidt und Klingbiel als Halbstürmer zu nominieren, war der Hallenser Elf nicht beizukommen. Sie ließ sich durch diesen vermeintlichen Überraschungseffekt keineswegs düpieren. Ja, es wäre auch mehr als verwunderlich gewesen, wenn die erfahrenen Klaus Hoffmann, Urbanczyk und Günter Hoffmann einer derartigen Aufstellungsrafinesse nicht die erforderlichen eigenen Ideen im Deckungsspiel hätten entgegensetzen können.

So schlug der vorgegebene Schachzug auf den Urheber selbst zurück, was das gesamte Sturmspiel der Berliner mehr als schlagend bewies. Das sich stets in der Strafraummitte zusammenballende Spiel des SC Dynamo mußte Urbanczyk und G. Hoffmann geradezu entgegenkommen, weil sie damit nicht die gefährlichsten Angriffsspitzen des Gegners in ihrem Aktionsradius hatten, sondern zugleich neben der restlosen Ausschaltung von Schmidt und Klingbiel sich um die Inszenierung eigener Angriffe verdient machen konnten. Das auch schon deshalb, weil ihre jungen Verteidiger kaum jemals ernsthaft gefordert wurden, oder den wenigstens noch auf die Flügel ausbrechenden Quest mit Hilfe von Klaus Hoffmann in seiner Wirkung beeinträchtigten. In diesen jede Harmonie fehlenlassenden Angriff vermochte auch Schröter trotz ständigen eifrigen Bemühens keine Linie hineinzubringen. Die Deckung der Hallenser erwies sich allen Anforderungen gewachsen, so daß vor allem Urbanczyk mehr und mehr zur mittelfeldbeherrschenden Figur werden konnte.

Zwar sorgten Mühlbächer und Maschke 1n der ersten Spielhälfte noch durch individuelle Angriffshandlungen für Gefahr im Straframm der Hallenser, doch entweder stoppten Urbanczyk und G. Hoffmann durch harten Körpereinsatz die Läufer der Dynamo-Elf, oder die zumeist flachen, scharf nach innen gezogenen Eingaben wurden von Schmidt und Quest nicht zu Toren umgemünzt. An den kämpferischen Qualitäten von Mühlbächer und Maschke scheiterte der SC Dynamo nicht. Er erreichte vielmehr keine Angiffswirkung, die einen Erfolg gerechtfertigt hätte. Das kann auch nicht dadurch abgeschwächt werden, daß sich Schröter bereits in der ersten Halbzeit leicht verletzte, Schmidt im zweiten Spielabschnitt angeschlagen wurde und Dorner nach einem Eckball, der im Gegenzug den schon spielentscheidenden zweiten Treffer für den SC Chemie brachte, sich eine Hüftgelenkprellung zuzog und in der 72. Minute ganz das Feld verließ. Der SC Chemie offenbarte in dieser spielerisch wenige Höhepunkte offenbarenden Begegnung seine ausgesprochenen Pokalqualitäten, doch die Hallenser waren auch sowohl im Abwehr-, als im Angriffsspiel weitaus besser beraten.

Bereits in der ersten Halbzeit deutete der junge Schimpf mit trickreichen Aktionen seine Torgefährlichkeit an, die sich mit zunehmender Spielzeit immer mehr auszahlte. Ihm war es such zu danken, daß die unermüdlich auf den Ausgleichstreffer drängenden Berliner, die dabei jedoch jede Deckungsaufmerksamkeit außer acht ließen, durch einen überraschend vorgetragenen Angriff mit dem zweiten Tor bestraft wurden. Und als nach dem Anschlußtreffer von Schröter der SC Dynamo sein Heil nur noch in pausenlosem Anstürmen sehen konnte, nutzten die Hallenser durch Walter die erschreckend desorganisierte Abwehr der Berliner, in der Marquardt und Heine nicht überzeugen konnten, konsequent. Es mangelte dem Spiel an echten dramatischen Akzenten, auch an den ureigenen Pokalkampfqualitäten, so daß nur mit gewisser Wehmut der faszinierende Pokalfight des Vorjahres zwischen dem SC Motor Jena und dem SC Empor Rostock in die Erinnerung zurückgerufen wurde.

SC Chemie Halle:
Wilk; Okupniak, K. Hoffmann, Minnich; Urbanczyk, G. Hoffmann; Schimpf, Walter, Topf, Lehrmann, Busch
SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Dorner (72. verletzt ausgeschieden), Heine, Skaba; Mühlbächer, Maschke; Bley, Schmidt, Quest, Klingbiel, Schröter

1:0 Lehrmann           (21.)
2:0 Schimpf            (55.)
2:1 Schröter           (68.)
3:1 Walter             (85.)

Schiedsrichter         Kunze (Karl-Marx-Stadt)
Zuschauer:             10.000

Günter Simon, Neue Fußballwoche, 12.06.1962