FDGB-Pokal 1959 - Halbfinale: SC Dynamo Berlin - BSG Motor Zwickau 2:1 n. V.

Gebt dem Pokal, was dem Pokal gebührt
Leere Ränge
- Berlin, 14.30 Uhr. An einem Mittwoch im Oktober. Zweites Semifinalspiel im Walter-Ulbricht-Stadion. Ringsum gähnende Leere: 1.534 "Zahlende". Kann Stimmung aufkommen? Wird Pokalatmosphäre herrschen? Günter Witzger gewinnt die Seitenwahl. Karli Schäffner stößt an. "Wo sollen denn die Zuschauer herkommen", fragte Dynamo-Trainer Fritz Bachmann nach dem Spiel, "wenn so früh begonnen wird? Die Verlegung unseres Pokalspiels, wie überhaupt die mehrfachen Änderungen des Terminplans, müssen sich ja schließlich auf den Besuch ungünstig auswirken." "Die Terminfragen sind für uns ein Problem", führte Motor-Trainer Karl Dittes aus. "Es ist aber schwierig, hier stets die richtige Lösung zu finden. Erst, wenn wir in der Lage sind, unsere Länderspiele langfristig abzuschließen und einzuplanen, kann die von allen Seiten gewünschte Ordnung erreicht werden.

Die Gedanken beider Trainer haben vieles für sich. Auf der einen Seite üben die Fußballanhänger berechtigte Kritik an der derzeitigen Termingestaltung. Zum anderen hat uns aber gerade in diesem Jahr die Vielzahl der nationalen und internationalen Wettbewerbe vor ungeahnte Schwierigkeiten gestellt. In einer Hinsicht sollte man jedoch in Zukunft besser planen und die Termine der Meisterschafts- und Pokalspiele stärker voneinander abgrenzen. Durch Vorstoß Deckung geöffnet - Langer Diagonalpaß von Gruner. Freie Position für Jura am linken Flügel. Lauf, Schuß und- rechtzeitige Parade von Marquardt. Nachschuß von Franz. Mühlbäckers Dazwischenfahren. Letzte Rettung durch Skaba. - Sofortiger Gegenstoß von Dynamo. Bley läuft bis zur Linie und zieht flach nach innen. Rolf Baumann kann das Leder nicht festhalten. Der linke Dynamo-Läufer vollstreckt aus Nahdistanz (5.).

"Heute muß man den Raum nutzen. Beide Mannschaften haben diesmal offen gespielt. Der schnelle Wechsel von der Abwehr zum Angriff ermöglichte Dynamo den ersten Treffer." So kennzeichnete Karl Dittes treffend die spezielle und grundsätzliche Situation des Spiels. Ein derartiger Vorstoß aus der Konterstellung gelang den Berlinern nicht oft in diesem Spiel. Im allgemeinen waren die Grünhemden, wie man es einfach auszudrücken pflegt, im Mittelfeld etwas überlegen. Dagegen wurden die Zwickauer nicht aus eigener Absieht, sondern vielmehr aus der "Not" geboren zur klugen Anwendung des Ziehharmonikasystems gezwungen. Der stärkste Mann auf dem Feld - Der Angriff der Gäste meldet sich zum Wort. Er bedeutet Gefahr. Meist stehen Horst Jura und Rainer Franz "verkehrt". Es ist schwer, diese beiden angriffslustigen Stürmer zu binden. Sie erhalten durch den rechten Läufer gute Unterstützung.

Die Kombinationsfolge der Rotjacken vollzieht sich meist im Dreieck 5-11-9. Vier Eckbälle für Zwickau in kurzer Folge. Überraschender 22-Meter-Schuß von Tauscher, den Marquardt schön über die Latte lenkt. "Wir haben uns diesmal gut verstanden", sagte Zwickaus Mittelstürmer und spielte auf das fast blinde Verstehen mit seinem Linksaußen an. Jura hatte völlig recht. Dynamo besaß an diesem Tag keinen so gefährlichen Stürmer wie Franz und Jura. Nur schien es dem blonden Horst doch etwas an Entschlossenheit zum entscheidenden Torschuß zu fehlen. Kämpferischer Glanzpunkt des Zwickauer Spiels war indessen Helmut Gruner, der ein unerhörtes Arbeitspensum erledigte, stets hinten und vorn zu finden war und die Aufgaben des modernen Läuferspiels vorbildlich erfüllte.

Frühe Entscheidung möglich - Hofmanns Steilpaß für Bley. Der Halbrechte marschiert wie vor dem Führungstor ab und zieht den Ball nach innen. Noch kann Schaub kurz retten. Schäffner köpft über das leere Tor (23.). "Ja, wenn solche Chancen nicht genutzt werden ... Das hätte bereits die Entscheidung sein können." so lautete Bachmanns Kommentar zu dieser Szene. Von seiner Warte aus gesehen hat der Dynamo-Trainer zweifellos recht. Immer noch findet das starke Spiel der Verteidiger und Läufer nicht die richtige Krönung durch die Vorderreihe. Vielleicht sollte man doch einmal wieder einen Versuch mit Klaus Thiemann als Mittelstürmer wagen. Die Strafe traf die Mannschaft - Freistoß für Dynamo. Erst kurz, in der Wiederholung lang. Die Mauer schwächt Heines Schußkraft ab (25.). Fernschuß von Quest. Der Torwart lenkt zur Ecke (27.). Freistoß für Motor. Franz findet eine Lücke in der grünweißen Barrikade.

Aber Marquardt ist rechtzeitig unten und pariert (35.). Renkontre zwischen Mühlbächer und Jura. Der Zwickauer sinkt mit einem Aufschrei zu Boden. Aber auch der Übeltäter Mühlbäcker hat sich verletzt. Lind geht kurz raus. Die Gäste nutzen die Chance. Noch einmal hält Marquardt herrlich den Schuß von Baumann (unseren herzlichen Glückwunsch, lieber Werner, zu deinem 25. Geburtstag). Aber, gegen den Nachschuß von Jura ist der Torwart machtlos (39.). Zur Pause entschließt sich Dynamo, Mühlbächer auszuwechseln und dafür Thiemann hereinzunehmen. "Die Erziehungsaufgabe war für uns wichtiger als vielleicht der sportliche Erfolg." Dieser Leitsatz von Fritz Bachmann ehrt die Dynamo-Verantwortlichen. Man hat absolut richtig gehandelt. Du hast deiner Mannschaft einen schlechten Dienst erwiesen, lieber "Waldi". Dieser "Kopfstoß" war eine sehr unsportliche Handlung. Er hätte dich eine Herausstellung kosten können.

Du mußt endlich einsehen: Nur deine spielerischen Fähigkeiten können der Mannschaft helfen. Laß in Zukunft derartige "Spezialitäten" völlig beiseite. Sonst wirst du selbst nicht mehr lange Freude am Fußballspiel haben. Denn das kann und wird in Zukunft niemand mehr entschuldigen. Der Verteidiger als Stürmer - Erste Chance nach Wiederanstoß für Zwickau. Dorner wehrt Juras Schuß ab (48.). Dann übernimmt wieder Dynamo das Kommando. Maschke ist durch. Gelegt! Kein Eifer? (51.) Hochflanke von Quest landet am Pfosten (56.). Ecke von links. Dorner köpft knapp vorbei (57.). Freistoß von Schröter. Hechtsprung von Dorner und Kopfball gegen die Latte (65.). Zwei Fernschüsse von Skaba (79.). "Der Schiedsrichter hatte in diesem harten Pokalkampf kein leichtes Amt. Es fehlte ihm jedoch mitunter der Mut zur klaren Entscheidung." Das war das sachlich-kritische Urteil des Motor-Trainers.

Wir stimmen ihm zu. Zugleich möchten wir die ausgezeichnete Leistung des rechten Dynamo-Verteidigers hervorheben. Einsatz, Spagat, Rettungstaten und dieses zweimalige Vorschnellen in den Angriff kennzeichneten ihn als einen der herausragenden Spieler (Nachträglich unseren herzlichen Glückwunsch, lieber Conny, zum Stammhalter). Noch drei Chancen für Zwickau. Oettler, der Nachfolger von Witzger, geht mit vor. Jura ist frei. Seinen Flachschuß pariert Dorner (86.). Gruner wird kurz vor dem Dynamo-Tor gestoppt (87.). Der Flachschuß von Franz zischt am Pfosten vorbei (90.). "Der Gegner verstand es, im richtigen Moment unter Hinzuziehung des rechten Läufers Raum zu schaffen für die Stürmer." Fritz Bachmann nannte den Kernpunkt des Zwickauer Spiels.

Noch einmal sei es gesagt: Die bestmögliche Ausnutzung des gesamten Spielfeldes kann heute nur noch den Erfolg bringen. Es war ein harter, stets fesselnder Pokalkampf. Beide Mannschaften sorgten dafür, daß bald richtige Pokalatmosphäre aufkam. Dynamo im Finale - Eckball von rechts. Nur kurz abgewehrt. Heines Nachschuß trifft ins Schwarze (114.). Freudige Umarmung zwischen Klemm und Marquardt und unter allen Dynamo-Spielern. "Der Willi hat großartig gehalten. Fangsicherheit, Körpereinsatz, rechtzeitiges Herauslaufen, Vorwerfen und Reagieren auch bei flachen Schüssen kennzeichneten ihn als ausgezeichneten Torwart. Sollte man ihm nicht endlich wieder eine Chance in der Auswahl, zumindest in der "B" geben?" So beurteilte Heinz Klemm die Leistung seines Kollegen vom Fach.

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Dorner, Heine, Skaba; Maschke, Mühlbächer (46. Thiemann); Hofmann, Bley, Schaffner; Schröter, Quest
BSG Motor Zwickau:
R. Baumann; Schaub, Glaubitz, Seiler; Gruner, Witzger (62. Oettler); Schüller, Tauscher, Jura, W. Baumann, R. Franz

1:0 Mühlbächer         ( 5.)
1:1 Jura               (39.)
2:1 Heine              (114.)

Schiedsrichter:        Kupke (Leipzig)
Zuschauer:             1.534

Hermann Gehne / Lothar Nagel, Neue Fußballwoche, 27.10.1959