FDGB-Pokal 1958 - 2. Hauptrunde: BSG Chemie Wolfen - SC Dynamo Berlin 4:0

Erbarmungslos die Chancen genützt / Büchner II schoß drei Tore
Die Volkspolizisten werden sich fragen, waren wir wirklich um diese vier Tore schlechter; immerhin gaben wir doch eine Stunde lang rein spielerisch den Ton an. Das kann man dem SC Dynamo auch nicht abstreiten. Technisch lieferte er viele Kabinettstückchen, aber man verzettelte sich dabei so sehr in die Breite, daß der Sturm dann dabei harmlos blieb. Bewundernswert Moppel Schröter: Der Günter war trotz der vielen Fehlschläge unermüdlich in der Ballverteilung und an guten Einfällen. Das erkannte man auch in Wolfen an: Schröter war bester Mann auf dem Platz. Kein Wunder, wenn sich in der zweiten Halbzeit, als Dynamo noch einmal alles auf eine Karte setzte, gleich zwei Mann an unseren Auswahlkapitän "hängten", steuerte er einmal mit dem Ball am Fuß in den Wolfener Strafraum hinein. Trotzdem - oder gerade deshalb -, es kam nicht einmal zu dem Ehrentreffer für die Berliner. Mit schönem Spiel war bei dieser Wolfener Mannschaft einfach nichts zu holen. Dazu war der Sturm der Wolfener selbst zu gefährlich, um gute Chancen ungenutzt zu lassen, und dazu stand außerdem die Abwehr der Gastgeber viel zu massiert.

Die Abwehr des Oberligasechsten zeigte sich bei weitem nicht so stabil. Es schien, als habe Wolfen nur auf diese Schwächen gewartet. Büchner, der Torschützenkönig der 1. Liga, schlug unermüdlich zu, als sich Gelegenheit dazu ergab. Bereits in diesen Phasen des Spieles wurde die Begegnung entschieden. In der 12. und dann endgültig in der 56. Minute nutzte der Wolfener Mittelstürmer zwei grobe Abwehrschnitzer von Bock. Das erste Mal steuerte der linke Verteidiger mit dem Ball am Fuß in die Mitte vors eigene Tor. Marquardt lief in Erwartung einer Rückgabe heraus, aber Bock setzte zu einem befreienden Schlag ins Mittelfeld an, brachte jedoch den Ball nur 5 m weit, direkt vor die Füße von Wawrzyniak, der sah Marquardt noch draußen, schoß sofort ab. Der Ball donnerte an den Pfosten, sprang zurück an Marquardt vorbei, und da war Büchner zur Stelle und schoß ein. Beim zweiten Treffer fing Bock eine Eingabe von Hänel ab. Diesmal spielte er zurück zu Marquardt, aber so gelassen, daß Büchner II noch an den Ball kam. Die beiden restlichen Treffer der Wolfener waren nur noch Formsache. Die Mannschaft steigerte sich mit Zunahme der Spielzeit.

Da konnte man die Fehlpässe, die es zuvor gab, schon einmal verzeihen. Schließlich hatte man doch ein wenig Respekt vor dem großen Gegner, und das machte nervös. Schließlich fand man aber doch zum eigenen Stil zurück, zum Spiel über die Flügel, wo sich Erdmann und Stanzik gut in Fahrt zeigten. Erst zur Schlußoffensive gingen dann auch die beiden Läufer aus ihrer defensiven Haltung heraus (bedingt dadurch, waren sie natürlich im Zerstören besser als im Aufbau). Wolfen konnte sich oder kann sich allerdings diese Spielart, die der des SC Wismut in früheren Zeiten gleicht, erlauben, da man flinke und geschickte Stürmer hat, die sehr einfallsreich spielen: Ein großer Erfolg der Mannschaft, die keine absolut überragenden Könner hat, ein Erfolg des Kollektivspiels! Und natürlich auch ein Erfolg für Trainer "Sam" Melzer, der es immer wieder versteht, aus diesen Kräften das Beste herauszuholen. In dieser Form hat Wolfen die besten Aussichten, aufzusteigen!

BSG Chemie Wolfen:
Marciniak; Nohl, Büchner I, Dreißig; Merkel, Riediger; Erdmann, Wawrzyniak (72. Ernst), Büchner II, Hänel, Stanzik
SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Schäffner, Schneider, Bock; Maschke, Mühlbächer; Scheibel, Hofmann, Thiemann, Schröter, Matzen

1:0 Büchner II         (12.)
2:0 Büchner II         (56.)
3:0 Ernst              (80.)
4:0 Büchner II         (88.)

Schiedsrichter:        Becker (Halberstadt)
Zuschauer:             4.500

Helmut Gerhardt, Neue Fußballwoche, 15.07.1958