FDGB-Pokal 1955 - 4. Hauptrunde: SC Dynamo Berlin - SC Wismut Karl-Marx-Stadt 3:5 n. V.

Wismut brach "Dynamo-Bann" / Auch in Berlin Verlängerung / Ballwechsel Tröger-Satrapa 4:3, Günther 5:3! / In hereinbrechender Dämmerung pfiff Lothar Green zur letzten halben Stunde
Die Dynamo-Wismut-Kämpfe um wichtige Entscheidungen im Berliner Walter-Ulbricht-Stadion scheinen zur Tradition zu werden. Erinnern Sie sich: 1953 traten beide Kollektive zum Endspiel an, damals galt noch nicht die Regelung, daß bei Punktgleichheit das bessere Torverhältnis den Ausschlag gibt. Dynamo (damals noch VP Dresden) siegte 3:2 und wurde Meister. In diesem Jahr trennten sich die Kontrahenten an gleicher Stelle 0:0-Unentschieden, wo Wismut nach einer Schwächekrise der führenden Erfurter Turbine-Elf noch die Möglichkeit hatte, obwohl keiner mehr daran geglaubt hatte, die Meisterschaft erstmalig zu erringen und nur ein 0:0 erreichte. Und diesmal schienen die Wismut-Kumpel im Pokalkampf erneut an Dynamo zu scheitern. Aber es schien lange nur so.

Schnell waren die Berliner mit ihrer Verlegenheitsbesetzung (Schoen und Michael gesperrt, Holze verletzt, Hänsicke noch nicht wieder topfit) 2:0 in Führung gegangen, was das Selbstvertrauen der Elf natürlich gewaltig stärkte. Sie spürte: wir können der in bester Formation antretenden Wismut-Vertretung durchaus Paroli bieten! Dynamo verzichtete auf den ihr eigenen Stil, der oft bis zur Unproduktivität übertrieben wurde, sondern griff überraschend steil und damit gefährlich an. Wismuts Mittelverteidiger Müller, der diesmal überhaupt nicht im Bilde war und nicht wußte, wen er decken sollte, verschuldete durch krasse Abwehrfehler die ersten beiden, schnell folgenden Dynamo-Tore. Im Nachschuß jagte Mittelstürmer Maschke (drangvoll, zäh, elastisch, nach hinten und zur Seite pendelnd), die Kugel ins Netz, und drei Minuten später war das 2:0 durch Wrobel fertig (von Dynamo Berlin-Mitte gekommen).

Müller verpaßte eine Steilvorlage, Steinbach zögerte mit dem Start und blieb auf halbem Wege stehen. Ungehindert konnte der Dynamo-Rechtsaußen vollenden, aber für den Torwart ist natürlich bei derart bösen Schnitzern seiner Vorderleute eine Abwehr immer schwer. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, daß die Auseinandersetzung noch so torreich werden sollte. Wismut spielte eleganter, kombinationstechnisch gepflegter, aber häufig zu eng und mit übertriebenem Hang zum Dribbling (S. Wolf, Kaiser). Die Herrschaft im Mittelfeld hatten indessen die Kumpel längst übernommen. Dynamo blieb mit gefahrvollen Konterschlägen jedoch stets auf der Lauer. Nicht Möbius, nicht Schröter bestimmten diesmal den Lauf der Dinge im Dynamo-Angriff, sondern die drängenden Wrobel und Maschke. Schröter kam dann später noch hinzu.

Das Anschlußtor Wismuts lag in der Luft, Satrapa erzielte es schließlich mit einem urgewaltigen Schuß aus ungünstigem Winkel, wie von der Sehne geschnellt flitzte die Kugel in die lange Ecke. Ein für Trögers Können typischer Treffer erbrachte den Ausgleich: Ballnahme, Körpertäuschung, halbe Drehung und "Umlage" des Leders vom rechten auf den linken Fuß waren eine Aktion von Sekundenschnelle. Unverzüglich schmetterte er die Kugel in die linke obere Ecke! Echte Pokaldramatik erhielt der Kampf aber erst in der zweiten Halbzeit. Es wurde mit erbitterter Härte gekämpft, wobei der eine und andere auch einmal über die Stränge schlug (hier hätte der korrekt leitende Lothar Green konsequenter durchgreifen müssen), und stets blieb die Partie ausgeglichen.

Den reizvollen Gegensatz dieses Kampfes bildete die unterschiedliche Kampfmethodik: Wismuts Technik mit der Schlepperarbeit der beiden Wolfs, wovon Siegfried später in der Kondition nachließ, Kaiser und auch Viertel und die schnellen Ballwechsel zwischen den Klassespieler Tröger und dem enorm fleißigen Satrapa (aber mehr Disziplin, Heinz!), die immer Gefahr schufen, und Dynamos langlinige Angriffe unter Beimischung technischer Elemente, die die Leistung beider Teams auf ansprechendes Niveau hoben! Dynamos Kräfte schienen zu erlahmen, als bereits eine Minute nach dem Wechsel der treffliche Tröger auf 3:2 erhöhte. Klemm lief bei einem von Punt verschuldeten Freistoß aus dem Tor, aber er hätte auf der Linie bleiben müssen, dann wäre der Kopfball des Wismut-Mittelstürmers von ihm sicher gehalten worden. Usemann hatte ihm noch zugerufen: "Drin bleiben, Heinz!" Aber da war es schon zu spät.

Dynamo ließ sich aber nicht entmutigen. Die Elf erhielt noch einmal erstaunlichen Auftrieb. Sie bewies damit die Stärke des Kollektivgeistes und was Wille vermag! Moppl Schröter gab den Impuls zu diesem Aufbäumen seiner Elf, als er ein Tor erzielte, wie man es weiß Gott nicht alle Tage erlebt. Nach "kurzer Ecke" wuchtete er das Leder mit elementarer Gewalt in die Hanfstricke, gab dem Ball eine Schärfe und Präzision, daß Steinbach gegen dieses Geschoß einfach machtlos blieb. Es ging wie ein Ruck durch die Berliner. Ihre jungen Kräfte kämpften vorbildlich mit, aber die Deckung der Kumpel hatte sich inzwischen gefestigt, auch Müller spielte nun sicherer, tatkräftig unterstützt von dem cleveren Glaser und dem einsatzstarken Bauer, der wieder in bekannter Manier in die Kombinationen des gegnerischen Sturms hineinflog.

Schröter hatte den Siegestreffer in den Beinen, vorbildlich freigespielt von dem uneigennützigen Matzen, aber er zögerte, glaubte, erst noch einen Angreifer austricksen zu müssen, statt unverzüglich zu schießen. Nie hätte Steinbach eine Möglichkeit gehabt, Schröter am Torschuß zu hindern. Das kostete die Berliner den Sieg! "Moppel" fühlte es, denn er ging gesenkten Kopfes betrübt zur Mitte zurück. Die Dämmerung brach schon herein (wie kann man auch an einem Wochentag ein Pokalspiel um 18:15 Uhr beginnen lassen!!), als Green zur Verlängerung anpfiff. Es siegte schließlich die Mannschaft mit den größeren Kraftreserven. Vier Minuten der zweiten Halbzeit waren gespielt, als Tröger von der Position des Rechtsaußen wieder in klassischem Zusammenspiel mit Satrapa eine Vorlage halbhoch in den Strafraum hob.

Wie ein Habicht schoß "Satti" heran, drückte mit der Brust die Kugel herunter, und ehe der verzweifelt ihn verfolgende Punt es verhindern konnte, hatte der Wismut-Linksaußen flach und absolut unhaltbar für Klemm eingeschossen. Dynamo kämpfte vergeblich um den nochmaligen Ausgleich, stattdessen erzielte Günther nach einem Fehler von Schröter (Viertel war in die für Usemann berechnete Vorlage hineingelaufen) das fünfte Tor. Es war ein schöner Pokalkampf, so wie die Zuschauer ihn wünschen. In der Elf Dynamos, deren starke Leistung mit einer Verlegenheitsmannschaft besondere Anerkennung verdient, soll man den jungen Punt und Heine ein Lob für ihren unermüdlichen Einsatz aussprechen, und auch Wrobel ließ Holze nicht vermissen. Wismut spielte geschliffener und auch im Sturm mit den tatendurstigen Satrapa und Tröger gefährlich. Und es war ein wechselvoller, harter und auch stets offener Kampf.

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Punt, Bethnarek, Haufe; Heine, Usemann; Wrobel (91. Pinske), Schröter, Maschke, Möbius, Matzen
SC Wismut Karl-Marx-Stadt:
Steinbach; Glaser, Müller, Bauer; K. Wolf, S. Wolf; Freitag (46. Viertel), Kaiser, Tröger, Günther, Satrapa

1:0 Maschke            (10.)
2:0 Wrobel             (13.)
2:1 Satrapa            (22.)
2:2 Tröger             (37.)
2:3 Tröger             (46.)
3:3 Schröter           (55.)
3:4 Satrapa            (109.)
3:5 Günther            (117.)

Schiedsrichter:        Green (Limbach)
Zuschauer:             3.500

Heinrich Müller, Neue Fußballwoche, 01.06.1955