22. Spieltag 1989/90: 1. FC Dynamo Dresden - FC Berlin 6:1

Vorgeführt!
Schlimm vorgeführt! So fühlten sich einige Dresdner Fans, Journalisten und auch Spieler nach den jüngsten gelben und roten Kärtchen gegen die Gelb-Schwarzen. Daß dabei einiges den Rahmen des Normalen sprengte (aber was ist schon normal in dieser Zeit!), soll hier dem Lokalpatriotismus in die Schuhe geschoben werden. Sachlichkeit jedoch darf, bei aller verständlichen Sorge um die eigenen Lieblinge, nicht in die Ecke gestellt werden. So hat zum Beispiel DFV-Spielansetzer Jochen Meckeler mit den Strafen für die Dresdner "Rotsünder" ebensowenig zu tun wie einige Berliner Rowdys mit dem FCB. Übrigens funktionierte die Sicherheitspartnerschaft Klub/Volkspolizei diesmal reibungslos. Keine Vorkommnisse in der Stadt und im Stadion, was jedoch einige Schläger nicht davon abhielt, später die Autobahnraststätte Freienhufen in Angst und Schrecken zu versetzen. Der Gewalt muß auch weiter der Kampf angesagt werden!

Doch zurück zum sportlichen Teil. keine Diskussionen gab es diesmal um die Verteilung der gelben Pappkartons. Und die Dresdner Akteure selbst ließen die Strafen für Sammer/Schößler/Kirsten (in der Tat fiel das Maß sehr hart aus, dafür ließ sich keiner aus der DFV-Führung außer dem offiziellen Beobachter Adolf Prokop in Dresden sehen!) aus der Diskussion verschwinden. Schlimm vorgeführt! Das wurden die Hauptstädter von einer Dynamo-Elf, die an beste Dresdner Fußballtage erinnerte. Dabei fing alles denkbar ungünstig an: Rydlewicz narrte Trautmann, Doll schoß aus Nahdistanz zur Berliner Führung ein. Doch gerade in dieser Situation zeigten die Dynamos deutlich, daß sie sich im Titelkampf noch längst nicht aufgegeben haben. "Für mich war ganz wichtig, daß wir einen angeschlagenen Gegner bis zum Ende mit spielerischen Mitteln niederhalten konnten", fiel Trainer Reinhard Häfner nach der sieglosen Oberliga-Serie (fünf Spiele) ein Stein vom Herzen.

Und wie sie dominierten! Ohne nennenswerte Gegenwehr dirigierten Pilz und Hauptmann den Rhythmus, Stübner zerriß sich förmlich. Der junge Radtke nutzte sehenswert den Überraschungseffekt - und Gütschow schoß FCB-Keeper Kosche die Bälle nur so um die Ohren! "Der Trainer hatte mit jedem von uns noch einmal gesprochen. Aber extra zu motivieren brauchte er uns natürlich nicht", so der dreifache Torschütze, der sich am letzten Donnerstag übrigens gegen zwei Bundesliga-Offerten und für Dresden entschieden hatte. Schlimm vorgeführt! FCB-Trainer Peter Rohde rang sichtbar um eine Erklärung. "In Dresden kann man schon verlieren, aber die Art und Weise werden wir einer harten Kritik unterziehen." Das wird bitte nötig sein, denn plötzlich ist nicht nur der Meistertitel entglitten, sondern auch ein internationaler Startplatz in Gefahr!

1. FC Dynamo Dresden:
Köhler; Lieberam; Trautmann, Büttner; Hauptmann, Stübner (71. Diebitz), Wagenhaus, Pilz, Döschner; Gütschow (67. Kmetsch), Radtke
FC Berlin:
Kosche; Rohde; Herzog, Buder (50. Anders); Fügner (67. Backs), Ksienzyk, Ernst, Küttner, Bonan; Rydlewicz, Doll

0:1 Doll               ( 5.)
1:1 Gütschow           (12.)
2:1 Pilz               (34.)
3:1 Gütschow           (38.)
4:1 Trautmann          (47.)
5:1 Hauptmann          (52.)
6:1 Gütschow           (57.)

Schiedsrichter:        Kirschen (Frankfurt (Oder))
Zuschauer:             18.000


Jens Mende, Neue Fußballwoche, 02.05.1990