15. Spieltag 1971/72: BFC Dynamo - 1. FC Magdeburg 1:0

Stumpfs Freistoß entschied
Auch in der Niederlage erwies sich Wolfgang Seguin als ein wirklicher Kapitän. "Hört endlich auf mit den Vorwürfen", beendete er eine interne "Auswertung" einiger seiner Mannschaftskameraden in der Kabine, die ihrem Torwart nachsagten, daß der Freistoß von Stumpf haltbar gewesen sei. "Darüber können wir uns morgen in aller Ruhe unterhalten", wies er die Diskutierenden in die Schranken. "Und außerdem 'Keule'", nun an Mewes gewandt, "dein Störmanöver beim Freistoß war völlig unbegründet", sprach er ein letztes Wort. Tatsächlich bot diese 74. Minute im Berliner Sportforum Anschauungsunterricht in mehrfacher Hinsicht. Glöckner hatte, das Vergehen eines Magdeburger Spielers völlig korrekt ahndend, dreißig Meter vor Schulzes Tor auf Freistoß entschieden. Terletzki lief an. Als er abschoß, störte ihn der zurücklaufende Mewes, indem er das Bein hob.

"Ich mußte den Freistoß wiederholen lassen", kommentierte Rudi Glöckner. Nunmehr legte sich Stumpf die Kugel zurecht. "Das war zwischen uns so abgesprochen", bemerkte der BFC-Verteidiger später, "Frank und ich, wir wechselten uns bei Freistößen ab." Die Magdeburger beorderten einen dritten Mann in die Mauer. Stumpf nahm genau Maß und jagte den Ball scharf ins rechte Eck. "Obwohl ich die Kugel voll traf", sagte der glückliche Schütze, "überraschte mich, daß Schulze überhaupt nicht reagierte." Der Torwart winkte nur ab: "Ich wäre sowieso nicht mehr an den Ball gekommen." Eine Feststellung, die nicht nur sein Trainer Heinz Krügel bezweifelte... Auf alle Fälle: Der BFC bestrafte damit ein doppeltes Vergehen seines Kontrahenten und nutzte eine Standardsituation zum verdienten Sieg.

Daran nämlich gab es keinen Abstrich: Die Berliner, in letzter Zeit erfreulich beständig, hatten nicht nur die größeren Feldspielanteile, sie verfügten auch über die besseren Chancen. Zunächst rettete Abraham gegen Netz (1.), dann schoß der quirlige BFC-Stürmer, dem man etwas mehr Übersicht beim Abschluß wünscht, nicht genau genug, so daß Schulze parieren konnte (5.), ferner köpfte Johannsen über die Latte (10.), und schließlich vergaben Netz und Rohde nacheinander die größte Möglichkeit (60.). Daß Kranz den FCM-Torwart mit einem plazierten Schuß prüfte (67.), rundete das Bild nur ab. Dem stand nur eine Chance gegenüber, als Sparwasser nach sauberer Kombination knapp verzog (25.). So kommentierte BFC-Cheftrainer Hans Geitel völlig zu Recht: "Wir fanden uns insgesamt besser mit den äußeren Bedingungen ab, spielten gegen eine zu zurückhaltend wirkende Magdeburger Mannschaft zügiger, wobei ich Schwächen in unseren Mittelfeldaktionen nicht übersehen habe."

Zwar wurde Schütze zunächst zum auffälligsten Akteur auf dem Platz, doch er baute nach dem Wechsel merklich ab. Terletzki mühte sich, die Lücke zu schließen, aber durch die Formschwäche Rohdes ("Es wird Zeit, daß ich mein Tief überwinde") konnte das nicht gelingen. So waren die überaus aktiven Netz und Schulenberg, die im unmittelbaren Zweikampf mit ihren Bewachern klar dominierten, zu oft auf sich allein gestellt. Die Schwäche des 1. FCM lag diesmal durchaus nicht nur beim Torwart, obwohl die Tatsache, daß Moldenhauer infolge Heines Hochzeit auf der Auswechselbank saß, die Situation in dieser Hinsicht deutlich genug kennzeichnet. Die Sturmspitzen der Gäste blieben überaus stumpf, waren bei der BFC-Deckung gut aufgehoben.

Sparwasser war zu inaktiv, Hermann traute sich kaum etwas zu, und der bullige Mewes, der im Umgang mit dem Ball noch einiges nachzuholen hat, lief zu oft blind in die von Carow gut organisierte Abseitsfalle. Diese Mängel waren auch nicht vom umsichtig operierenden Seguin und vom dynamischen Tyll auszugleichen. Wenn die Begegnung nicht alle hochgeschraubten Erwartungen erfüllte, so lag das, zumindest teilweise, auch daran, daß die kalte Witterung den Boden hartgefrieren ließ. Mitunter vollführte der Ball so tückische Kapriolen, die Querschläger und Fehlpässe in einem sonst ungewohnten Maße hervorriefen. "Diesmal mußte man höllisch aufpassen", erklärte BFC-Schlußmann Lihsa, "um die Kugel unter Kontrolle zu bringen. Die Kälte forderte uns zusätzlich."

Zum Schiedsrichterkollektiv: Glöckner bot eine abgerundete Leistung. Wenn seine Entscheidungen von einem Teil des Publikums unter dem sich auch Magdeburger Schlachtenbummler befanden, ab und an kritisiert wurden, kann das nur mit mangelnder Regelkenntnis und fehlender Objektivität erklärt werden.


BFC Dynamo:
Lihsa; Carow; Stumpf, Trümpler, Hübner; Rohde (60. Kranz), Schütze, Terletzki; Johannsen, Netz, Schulenberg
1. FC Magdeburg:
Schulze; Ohm; Enge, Abraham, Achtel; Pommerenke, Seguin, Tyll; Hermann, Sparwasser, Mewes

1:0 Stumpf             (74.)

Schiedsrichter:        Glöckner (Markranstädt)
Zuschauer:             7.000


Klaus Schlegel, Neue Fußballwoche, 18.01.1972