12. Spieltag 1971/72: BFC Dynamo - 1. FC Union Berlin 1:1

Union wurde die Initiative überlassen
Man kann dieses Unentschieden drehen und wenden wie man will, der Fakt bleibt: Dynamo zog sich zu früh in die Abwehr zurück, war praktisch mit Beginn der zweiten Hälfte darauf bedacht, das von Becker mit sehenswertem 20-m-Schuß ("Eigentlich wollte ich mit Carow einen Doppelpaß spielen, doch dann sah ich die Möglichkeit zum Schuß!") erzielte 1:0 abzusichern. Union wurde so die Initiative in einem Maße überlassen, das zweifellos das eigene Licht unter den Scheffel stellte. "So sollte auch nicht weitergespielt werden", erklärte BFC-Mannschaftsleiter Konrad Dorner. "Im Mittelfeld gab es aber kaum noch Ausstrahlung auf unsere Aktionen. Trotzdem besaßen wir die Chancen, vor allem durch Labes und Schulenberg, den Vorsprung auf 2:0 auszudehnen." Wäre es geschehen, hätten sich die Gemüter um den kurz vor dem Abpfiff verhängten Handstrafstoß bei weitem nicht so erhitzt. "Ich stand etwa zwei Meter daneben, als Schütze den Ball mit dem Arm mitnahm", meinte FIFA-Referee Günter Männig.

"Für mich eine klare Sache." Unglücksrabe Harald Schütze war da ganz anderer Ansicht: "Ich habe doch gar keine Zeit zu einer Reaktion gehabt, das Leder sprang mir an den Arm!" Das muß auch der Berichterstatter feststellen: Die Überraschung über diese Entscheidung war allseitig. Andererseits hatte Union diesen einen Punkt durchaus verdient. "Die Wuhlheider setzten besonders nach der Pause die spielerischen Akzente", schätzte Helmut Riedel, Präsident des DFV der DDR, das Geschehen ein. "Daher empfand ich das 1:1 als einen gerechten Ausgang." Und Fritz Köpcke, DFV-Präsidiumsmitglied und Vorsitzender der Schiedsrichterkommission, fügte hinzu: "Die Begegnung gewann immer dann an Niveau, wenn über die Flügel gespielt wurde. Von hier aus entstanden auch die spannendsten Torszenen, wobei beide Schlußmänner sich dann mehrmals auszeichneten."

Bei den Gästen herrschte natürlich Zufriedenheit über dieses spät herausgeholte Unentschieden, das siebente im zwölften Meisterschaftskampf. "Trotzdem gab es auch einige andere Gelegenheiten, zu Treffern zu kommen", schränkte Cheftrainer Harald Seeger ein. "Ich denke da nur an die Kopfbälle von Sigusch, Wruck und Gärtner, von denen doch wenigstens einer sein Ziel hätte finden müssen." Das sei dem 1. FC Union bestätigt, daß er bei allem Kampfgeist sich auch um Kombinationsfluß bemühte, dieser allerdings zu oft unterbrochen wurde, weil einige Spieler zu unterschiedliche Leistungen boten und es beim Abschluß an durchschlagskräftigen Stürmern (das alte übel) mangelt. Die Punkteteilung war das vierte 1:1 der beiden Ortsrivalen im siebenten Lokalderby seit der ersten Auseinandersetzung am 5. November 1966. Union behielt zweimal (2:1 und 3:0), Dynamo einmal (1:0) die Oberhand.

Zum Schiedsrichterkollektiv: Männig wirkte zunächst souverän, hatte allerdings später neben dem Strafstoß einige weitere "Ecken und Kanten" in seiner Spielleitung. Übersah u. a. Abseitszeichen Pollmers, "rettete" sich danach in eine Abstoßentscheidung, ließ bei klarem Foulanzeigen das Spiel fortsetzen, obwohl, keine Vorteilauslegung gegeben war, und verwarnte völlig überraschend Papies in einer dafür keineswegs reifen Situation.


BFC Dynamo:
Lihsa; Carow; Stumpf, Hübner; Kranz, Terletzki, Becker, P. Rohde; Schulenberg, Schütze, Labes
1. FC Union Berlin:
Weiß; Wruck; Pera, Papies, Vogel; Lauck, Uentz, Werder, Juhrsch (55. Sammel); Sigusch, Gärtner (81. Klausch)

1:0 Becker             (35.)
1:1 Uentz              (87., Handstrafstoß)

Schiedsrichter:        Männig (Böhlen)
Zuschauer:             14.000


Hans Günter Burghause, Neue Fußballwoche, 28.12.1971