09. Spieltag 1971/72: BSG Wismut Aue - BFC Dynamo 1:0

Tempoverschleppung im Mittelfeld hemmte Spiel
Die sich ständig wiederholende Geste von Wismut-Cheftrainer Bringfried Müller war vielsagend und entsprach durchaus dem spielerischen Zuschnitt in der zweiten Hälfte: "Schneller aus der Abwehr heraustreten, Kontermöglichkeiten gegen die in der Offensive liegenden Berliner schaffen!" Ein Rezept, an das sich seine so vielversprechend gestarteten Schützlinge gerade in diesem Zeitabschnitt aber viel zu selten hielten! Das fachlich-kritische Urteil von Siegfried Wolf traf den Kern der Dinge: "Die Stürmer ziehen sich viel zu weit in die eigene Hälfte zurück und vergeben somit die Möglichkeit, Überraschungsmomente zu schaffen. Ganz zu schweigen davon, daß im Mittelfeld ja ständig gedribbelt und auf Kosten einer Temposteigerung in die Breite gespielt wird!"

Bewirkte der Schock der fünf Gegentreffer eine Woche zuvor bei Meister Dynamo Dresden jene innere Unruhe, die im zweiten Abschnitt kaum noch klare, zweckdienliche Aktionen zustande kommen ließ? "Ohne Zweifel bleibt eine Mannschaft davon nicht verschont! Auch wir konnten eine gewisse Labilität niemals ausschalten. Ungeachtet dessen hat sich die Elf aber mit ihrer starken kämpferischen Ausstrahlung achtbar aus der Affäre gezogen und nicht zuletzt deshalb dem Druck der Berliner mit fortschreitender Zeit standgehalten." So der Wismut-Trainer. Wismuts entscheidende Schwäche, sonst oft als wichtiger Impuls notiert: Keine Torgefährlichkeit aus der zweiten Reihe. So, wie sie der viel zu häufig zu individuellen Handlungen tendierende Bartsch in der dritten Minute demonstrierte, als er den von Carow zu kurz abgelegten Ball mit aller Vehemenz aufs gegnerische Tor jagte und Lihsa zu einer tollen Parade zwang.

Kraft und Laufarbeit erschöpften sich nicht nur bei ihm in der angriffsvorbereitenden Zone. So war es nur allzu erklärlich, daß der Spielfaden in der zweiten Hälfte fast völlig riß, und die durch Johannsens frühzeitigen Ausfall nicht unerheblich geschwächten Berliner das Geschehen diktierten. Was war in der 32. Minute passiert? Als Johannsen den Ball über Pohl hinweg in den gegnerischen Strafraum zirkeln und sich sofort in Bewegung setzen wollte, ließ der Wismut-Kapitän das Bein stehen. "Eine absolut strafstoßreife Situation", urteilte Männig. In einer Phase, in welcher der BFC immer stärker aufgrund seines sicheren, überlegten Zuspiels aus der Deckung heraus in Erscheinung trat, besaß einer der nervenstärksten Berliner nicht die Kaltblütigkeit, um die Chance zum Ausgleich zu nutzen: Becker.

"Hinterher läßt sich das leicht sagen: Aber ich hatte beim Anlaufen des Berliners das Gefühl, daß er den Ball über das Tor schlagen würde." Torwart Ebert täuschte sich nicht. "Natürlich hinterließ das einen Schock, aber weit schwerwiegender war für uns der Ausfall von Johannsen, ohne den wir das taktische Konzept des deckungsöffnenden Spiels über zwei Außenstürmer nicht mehr realisieren konnten." Für Cheftrainer Hans Geitel bestand aller Grund, kämpferische Bereitschaft und Bemühen um spielerischen Zusammenhang anzuerkennen - allerdings mit einem entscheidenden Einwand: "Uns fehlte in vielen Aktionen die ordnende, lenkende Hand eines souverän auftrumpfenden Mannes. Sonst hätten wir Wismut sicherlich noch abgefangen."

Zum Schiedsrichterkollektiv: Männigs ruhige und doch bestimmte Spielleitung imponierte. Vorwürfe an der aufkommenden Hektik im zweiten Abschnitt dürfen keinesfalls an seine Adresse gehen. Was mißfiel: die unsportlichen Äußerungen von den Rängen gegenüber Linienrichter Uhlig, die wenig Anstand und Disziplin verrieten!


BSG Wismut Aue:
Ebert; Pohl; Haubold, Schmiedel, Spitzner; Schüßler, Bartsch, Schaller; Einsiedel, Erler (81. Seinig), Escher
BFC Dynamo:
Lihsa; Carow; Stumpf, Trümpler, Kranz; Rohde, Terletzki, Becker (67. Netz); Johannsen (38. Schulenberg), Schütze, Labes

1:0 Spitzner           (20.)

Schiedsrichter:        Männig (Höhlen)
Zuschauer:             6.000


Dieter Buchspieß, Neue Fußballwoche, 07.12.1971