08. Spieltag 1971/72: BFC Dynamo - FC Carl Zeiss Jena 1:0

Nur eine Pflichtübung - mehr nicht!
Als Peter Ducke in der Mitte der zweiten Halbzeit einen Ball völlig unmotiviert aus etwa 35 m zu Grapenthin zurückspielte, da sagte ein Zuschauer hinter mir: "Das ist der Höhepunkt. Man müßte einfach aufstehen und nach Hause gehen." Nun bin ich beileibe kein Freund des Sarkasmus, und ich werde mich stets wehren, unseren Fußball durch diese Brille zu betrachten. Dennoch, diesem Manne konnte kaum widersprochen werden. Was der FC Carl Zeiss an diesem Tage dem Publikum anbot, das ist mit Zumutung in der Tat noch milde umschrieben. Wenn eine Mannschaft, die doch wohl Meister werden will (und die auch das Zeug dazu hat!), so defensiv, so destruktiv geradezu spielt, ja, Antifußball bietet, dann fehlen selbst einem Berichterstatter die Worte.

Was soll man davon halten, wenn sich die Jenaer in den ersten zwanzig Minuten fast ausschließlich nach rückwärts orientierten, wenn Irmscher in der Vierer-Abwehrkette wirkte, wenn Scheitler sich weit ins Mittelfeld zurückzog, wenn P. Ducke (er bemühte sich wenigstens noch, lieferte sich sehenswerte Duelle mit Rohde) im Angriff allein auf weiter Flur stand, wenn Lihsa den ersten Schuß nach 70 Minuten zu halten hatte? Hinzu kam noch, daß einige der Jenaer im Augenblick offensichtlich völlig außer Form sind (Stein, Weise, Schlutter). Und dann noch diese Auswechslungen! Mannschaftsleiter Waldemar Eglmeyer betonte zwar: "Es lag nicht in unserer Absicht, so vorsichtig zu spielen", doch was half's! Völlig berechtigt stellte der zum Pausieren verurteilte BFC-Kapitän Achim Hall fest: "Jena enttäuschte mich auf der ganzen Linie. Kein Biß, kein Wille zum Angriff."

Freilich soll nicht übersehen werden, daß der Titelanwärter ab und an versuchte, im Konterspiel Vorteile zu erzielen, daß Kurbjuweit, Preuße, Stein, Weise, auch Rock und Strempel mit nach vorn stießen. Ansätze, mehr nicht. Zugegeben, einen schwachen Tag kann jede Mannschaft einmal haben, und dagegen ist auch nicht zu polemisieren. Aber alles gegen eine derartige Einstellung der Spieler, gegen eine solche Spielweise, gegen einen Fußball, bei dem einem jeden Zuschauer zwangsläufig die Meinung aufgezwungen werden muß: Das ist eine Pflichtübung, die mehr oder minder lustlos abgehaspelt wird. Eben weil der FC Carl Zeiss berechtigte Verdienste um unseren Fußball hat, eben weil bei weitem mehr in ihm steckt, eben deshalb halten wir es für unsere Pflicht, diese Feststellungen mit dieser Deutlichkeit zu treffen.

Es geht nämlich um unseren Fußball insgesamt, darum, daß alle Aktiven gegenüber den Zuschauern, die unseren Sport erst ermöglichen, gewisse Verpflichtungen haben... Mag sein, daß das über den Rahmen eines Spielberichtes hinausgeht, daß deshalb auch die Schilderung der großartigen Taten eines Grapenthin, der beachtlichen Leistungen eines Stumpf, Schütze, Terletzki, Ducke zu kurz kommt. Dennoch, hier entsprechend einzugreifen, muß Angelegenheit aller sein. Der BFC tat sich schwer. Deshalb auch, weil er zu unklug (Labes, Johannsen, Becker) operierte, weil er Varianten (Doppelpaß) vernachlässigte. Insgesamt jedoch war dieser Erfolg vollauf verdient, weil das Bemühen und etwas mehr erkennbar wurde.

Zum Schiedsrichterkollektiv: Sicherlich gab es einige Mißverständnisse, indes weit weniger als bei den Spielern.


BFC Dynamo:
Lihsa; Carow; Stumpf, Trümpler, Kranz; Terletzki, Rohde, Becker; Johannsen, Schütze, Labes (70. Netz)
FC Carl Zeiss Jena:
Grapenthin; Rock; Kurbjuweit, Strempel, Irmscher, Preuße (85. Hoppe); Stein, Weise (82. Krauß), Scheitler, Schlutter; P. Ducke

1:0 Johannsen          (80.)

Schiedsrichter:        Kunze (Karl-Marx-Stadt)
Zuschauer:             8.000


Klaus Schlegel, Neue Fußballwoche, 30.11.1971