16. Spieltag 1970/71: FC Vorwärts Berlin - BFC Dynamo 1:0

Das Beste war noch die Sonne
Kopfschüttelnd verließen die Zuschauer den Jahn-Sportpark. "Das Beste war noch die Sonne" meinte einer von ihnen. Dieser Feststellung ist kaum zu widersprechen. Als einer der Journalisten vom "schlechtesten Ortsderby seit Jahren" sprach, erinnerte ein anderer daran, daß man dieses Urteil nun schon zum wiederholten Male treffe. Tatsächlich, die Zeit, in der die Derbys zwischen beiden Mannschaften Spannung und Dramatik. prickelnde Szenen und Fairneß nicht nur versprachen, sondem auch hielten, gehört wohl der Vergangenheit an. Und sämtliche "Begründungen" - vom Europapokalspiel, das seine Nachwirkungen hinterlassen habe, über die Tatsache, daß sich die Spieler zu gut kennen würden, bis zu den zahlreichen Verletzungsausfällen (Nöldner, Piepenburg, Pfefferkorn, Schulenberg u. a.) - können diese schwache Vorstellung nicht erklären, die mit Oberliganiveau nichts zu tun hatte.

Wohl gab es zunächst einige gute Szenen, so, wenn Körner oder Wruck am Ball waren, wenn sich Müller oder Hamann nach vorn orientierten, wenn sich Fleischer oder P. Rohde bemühten, allein, schon die nächste Aktion bedeutete zumeist schon das Ende des hoffnungsvollen Beginnens. Planlosigkeit, Ideenarmut waren Trumpf, der Zufall der auffälligste Akteur. Daß zudem noch, insbesondere vom BFC, einige Chancen vergeben wurden - Labes befand sich nach 57 Minuten allein vor dem erneut zuverlässigen Zulkowski - offenbarte eine weitere Schwäche. Ja, mitunter hatte man gar den Eindruck, als stünden die Aktiven mit den Regeln auf Kriegsfuß, als wüßten sie nicht, daß es in unserem Spiel ein Abseits gäbe, so oft rannten sie kopflos, blind geradezu, umher. Und auch mit der Fairneß wurde es nicht so genaugenommen. Wer ein Dribbling riskierte, der mußte damit rechnen, gefällt zu werden.

Meyer, kaum zwei Minuten im Spiel, wurde von Terletzki arg angeschlagen und mußte ausscheiden; doch auch andere zeichneten sich in dieser Hinsicht aus, weil es für sie offensichtlich keine andere Möglichkeit gab, sich in Erinnerung zu bringen. Nur folgerichtig, daß das Tor des Tages aus einem doppelten Abwehrfehler resultierte: Stumpf holte das Leder, anstatt es Lihsa zu überlassen, aus dem Torraum, paßte kurz und unmotiviert zu Trümpler. Der hatte Schwierigkeiten mit der Ballannahme. Fräßdorf spritzte hinzu, spitzelte zu Wruck, der überlegt vollendete. "Das war ja nicht zum Ansehen", schimpfte BFC-Trainer Fritz Bachmann, und auch dem ist nicht zu widersprechen. Immerhin, der FCV war um das eine Tor besser, weil er etwas beweglicher operierte, die etwas ordentlichere technische Durchbildung verriet, blieb jedoch auch nur ein blasser Schatten im Vergleich zum Mittwoch. übrigens, auf die Praxis, die jungen Ballholer noch zu instruieren, sich Zeit zu lassen, so auszugleichen, was die Spieler nicht vermögen - genau das tat nämlich ein FCV-Helfer - kann man ruhig verzichten. Nicht nur in Berlin ...

Zum Schiedsrichterkollektiv: Großzügigkeit ist eine Tugend, die sich heute nicht in jedem unserer Spiele auszahlt. Dieses gehörte dazu, und dem trug Kunze nicht immer Rechnung, was jedoch vor allem den Aktiven anzukreiden ist.


FC Vorwärts Berlin:
Zulkowski; Hamann; Andreßen, Begerad, Withulz; Müller, Strübing (77. Meyer), Körner; Wruck, Fräßdorf (71. Fröck), Großheim
BFC Dynamo:
Lihsa; Brillat; Stumpf, Trümpler, Hall; Carow, P. Rohde, Schütze (73. Terletzki); Lyszczan (46. Labes), Fleischer, Johannsen

1:0 Wruck              ( 7.)

Schiedsrichter:        Kunze (Karl-Marx-Stadt)
Zuschauer:             7.000


Klaus Schlegel, Neue Fußballwoche, 30.03.1971