15. Spieltag 1970/71: BFC Dynamo - BSG Chemie Leipzig 1:1

Kaum erhoffter Ausgleich
Schließlich ging doch noch ein Aufatmen durch die Dynamo-Reihen, als kurz vor dem Abpfiff ein Schütze-Freistoß, abgefälscht von der Abwehrmauer ("Sonst hätte ich den Ball auch gehabt", meinte Chemie-Torhüter Jany), seinen Weg ins Netz fand. Was vorher war? Die Berliner zeigten ein völlig konfuses Spiel, mit Schwächen in der engeren Verteidigung, mangelndem Aufbau im Mittelfeld und Überhast im Angriff. Becker hatte einen besonders rabenschwarzen Tag erwischt und wurde schon zur Pause ausgewechselt. War die Gegenwirkung des Gastes so unvermutet stark? Gewiß schöpften die Leipziger in kämpferischer Hinsicht alle ihre Möglichkeiten aus, aber spielerischen Glanz vermochten sie der Begegnung auch nicht zu geben.

Trojan leistete sich Fehlpässe in Hülle und Fülle; Lisiewicz hatte keine Linie in seinen Aktionen; Dr. Bauchspieß verdiente zwar Lob für sein enormes Laufpensum, jedoch Tadel für seine unnötigen Dribblings, die oft gestoppt wurden, obwohl sich ein Abspiel anbot. Erstaunliche Wirkung ging dagegen von den Chemie-Küken Pretzsch (20) und Gosch (19) aus. Trainer Kurt Neustadt hatte den Rechtsaußen schon vor dem Anstoß auf eine entsprechende Frage "als kampffreudigen, veranlagten Nachwuchsmann" bezeichnet. "Es war erst mein zweiter Einsatz über eine so lange Spielzeit in der Oberliga", sagte Pretzsch. "Wenn einem etwas gelingt, erhält man auch Selbstvertrauen". Und ob ihm einiges gelang! Sein erfahrener Kontrahent Hall bekam es zu spüren. Auf der linken Seite (!) bereitete Pretzsch das allerdings im Abschluß glückliche 1:0 vor.

Seine scharfe Eingabe lenkte kein Leipziger, sondern Dynamo-Verteidiger Stumpf in das von Lihsa verlassene Gehäuse. Dabei hatte der Betrachter den Eindruck, daß das Leder noch ohne Mühe aus dem Gefahrenbereich zu befördern war. "Ich wäre am liebsten in den Boden versunken. Der Ball sprang mir an das Schienbein, und schon besaß ich dadurch keine Kontrolle beim Wegschlagen", beschönigte der Unglücksrabe nichts. "Dieses Selbsttor hinterließ geradezu eine schockierende Wirkung. Nun fanden wir erst recht nicht mehr zu einer geschlossenen Leistung", schätzte BFC-Trainer Fritz Bachmann später diesen für Dynamo bitteren Augenblick ein. So minderte der 70 Minuten danach folgende Ausgleich ein wenig die Enttäuschung.

Zum Schiedsrichterkollektiv: Heinemann und seine "Mitstreiter" lösten die Aufgabe sicher. Vielleicht wäre eine Verwarnung für den mehrmals disziplinlosen Matoul angebracht gewesen.


BFC Dynamo:
Lihsa; Brillat; Stumpf, Trümpler, Hall; Becker (46. Carow), P. Rohde, Schütze; Fleischer, Lyszczan (61. Labes), Johannsen
BSG Chemie Leipzig:
Jany; Walter; Herrmann, Trojan, Pfitzner; Slaby, Dr. Bauchspieß, Lisiewicz (Trunzer); Pretzsch (72. Schmidt), Matoul, Gosch

0:1 Stumpf             (19., Eigentor)
1:1 Schütze            (89.)

Schiedsrichter:        Heinemann (Erfurt)
Zuschauer:             5.000


Hans Günter Burghause, Neue Fußballwoche, 23.03.1971