18. Spieltag 1969/70: BFC Dynamo - FC Vorwärts Berlin 1:0

Dem Meister drohte eine Lektion
Im Kabinen-Gang beim BFC stand niedergeschlagen der lange Stopper Jochen Carow, den Arm in eine Binde gelegt. "Das Ellenbogengelenk angekratzt, am Mittwoch beim Übungsspiel gegen den polnischen Zweitligisten Stal Milec", sagte er. Der Ausfall des "letzten Mannes", der beim 0:0 in Dresden großartig gestanden hatte, bereitete BFC-Trainer Hans Geitel verständlicherweise einige Sorgen. "Dumm ist nur, daß auch der Mann hinter Carow, Brillat, nicht zur Verfügung steht. So ist für uns heute Detlev Schneider die Nahtstelle. Hält sie?" Die bange Frage wurde früh beantwortet. Außer in jener 2. Minute, da der 23jährige Schneider den dribbelnden Pfefferkorn "fällte", gab es keinerlei Unsicherheit im Spiel des "Reservisten". Die Nahtstelle hielt. Mehr noch. Die BFC-Abwehrkette tat enorm viel, um in diesem 28. Orts-Derby die Weichen für die Hohenschönhausener nach den 10 sieglosen Rivalen-Kämpfen der letzten fünf Jahre wieder auf Sieg zu stellen.

Stumpf wie Hall, der beiden Stopper vertrauend, rückten munter mit nach vorn, hatten an den schnellen, geradlinigen und weitmaschigen Angriffszügen des BFC nicht minder Anteil wie der sich von Nöldner immer wieder lösende Rohde und der von Körner kaum abgeschirmte Becker. Jedenfalls, an druckvollen, auch spielerisch recht gefälligen Zügen mangelte es nicht, da die ständig rochierenden Spitzen Johannsen, Lyszczan und Schulenberg vor den routinierten Gegenspielern Withulz, Hamann, Fräßdorf keinerlei Respekt zeigten, Der FCV sah dabei gar nicht gut aus. Nach Rohdes Blitztor (7.), als er eine Eckball-Standardsituation entschlossen nutzte (Beckers Eingabe von rechts hatte Lyszczan postwendend von der linken Strafraumseite wieder vors Tor gezogen), wankten die FCV-Recken, voran Müller und der von einer Fußverletzung geplagte Hamann. Die schnelle Paßfolge schuf Chancen, die eine eklatante FCV-Niederlage m greifbare Nähe rückte.

Doch weder Schulenberg, noch Johannsen nutzten freistehend ihre Möglichkeiten, auf 2:0, 3:0 zu erhöhen, ein anderes Mal rettete Fräßdorf noch auf der Linie. Gregor Aleksandrowicz, ein Kollege von "Przeglad Sportowy", Warschau, früher geachteter internationaler Referee, wunderte sich mit uns über "das wenig bissige, umständliche, behäbig-kraftlose Spiel des Meisters. Kein Stürmer von Format, außer Nöldner am Regiepult, dazu eine labile Abwehr", kennzeichnete er den vermeintlichen Favoriten dieses Derbys. Von der guten Verfassung der 1. Halbserie ist der FCV meilenweit entfernt, ihm mangelt es an körperlicher Frische, an Elan, an spielerischer Gelöstheit. Piepenburg verkrampfte nach zwei mißglückten Aktionen völlig, von Begerad, Wruck sah man kaum besseres. Mehr als eine spätere platonische Überlegenheit sprang nicht heraus.

Zum Schiedsrichterkollektiv: Die Zusammenarbeit mit den Linienrichtern klappte gut, aber der Referee amtierte viel zu gestenreich, verriet in seinen Entscheidungen nicht immer eine klare Linie.

Vor dem Spiel:
Dieter Stumpf (BFC Dynamo): "Wir wollen die Gunst der Stunde (nutzen und unser Punktverhältnis positiv gestalten. Unsere Abwehr hat sich in den letzten Spielen soweit gefestigt, daß ich optimistisch bin, unser Ziel zu erreichen. Zudem hat ja der Meister in seinen letzten Begegnungen nicht seine Bestform erreicht."
Jürgen Nöldner (FC Vorwärts): "Ich erwarte eine ausgeglichene Begegnung. Dynamo konnte sich in seinen letzten Treffen erheblich steigern und wird uns das Siegen schwermachen. Viel wird auch davon abhängen, wer sich besser mit den Wetterbedingungen abfindet."

Nach dem Spiel:
Dieter Stumpf (BFC Dynamo): "Meine Prognose hat sich erfüllt. Ich glaube, daß unser Sieg vollauf verdient ist, weil wir die bessere athletische Bereitschaft mit in das Spiel brachten. Schon in der ersten Halbzeit hätten wir bei besserem Nutzen der Chancen unseren Erfolg sicherstellen können. Nach dem Wechsel drückte zwar Vorwärts mit dem Wind im Rücken auf den Ausgleich, ohne uns in der Abwehr aber in größere Schwierigkeiten zu bringen. Dagegen waren unsere Sturmspitzen bei ihren schnellen Gegenstößen stets gefährlich. Wir freuen uns, daß wir erst einmal auf 19 Punkte kamen."
Jürgen Nöldner (FCV): "Die bessere Mannschaft hat verdient gewonnen. Daran gibt es nichts zu deuteln. Gegen Wind haben wir besser gespielt als nach der Pause, wo wir vergebens gegen die Dynamo-Deckung anrannten. Wir begingen in der zweiten Halbzeit den Fehler, unsere Aktionen zu eng anzulegen und erleichterten dadurch der aufopferungsvoll kämpfenden Dynamo-Abwehr die Arbeit. Wenn ich (vor dem Treffen sagte, daß die Witterungsbedingungen mit eine Rolle spielen, so kann man jetzt feststellen, daß sich die Gastgeber weitaus besser als wir damit abgefunden haben."

BFC Dynamo:
Bräunlich; Stumpf, Trümpler, Schneider, Hall; Rohde, Schütze, Becker; Johannsen, Lyszczan, Schulenberg
FC Vorwärts Berlin:
Zulkowski; Fräßdorf, Müller, Hamann, Withulz; Körner, Nöldner; Wruck, Pfefferkorn, Begerad, Piepenburg

1:0 Rohde              ( 7.)

Schiedsrichter:        Zülow (Rostock)
Zuschauer:             5.000


Horst Friedemann / Werner Fischer, Neue Fußballwoche, 14.04.1970