16. Spieltag 1965/66: BFC Dynamo - FC Vorwärts Berlin 0:1

Weiß' Paraden und Nöldners Elan rissen ihre Kameraden mit / FCV-Steigerung nach der Pause sorgte für verdienten 1:0-Sieg und Sprung an die Spitze / BFC, im Mittelfeld nicht mit gewohnter Stärke, vernachlässigte die Flügel und wirkte nur eine Halbzeit gefährlich / Orisderby voller Tempo und dramatischer Torszenen
Die Freude der Vorwärtsspieler beim Schlußpfiff Schiedsrichter Vetters war verständlich: Einmal war dieses knappe 1:0 auf Grund der Steigerung nach der Pause verdient, zum anderen setzte sich die Mannschaft dadurch an die Tabellenspitze, unterstrich ihre Anwartschaft auf den Titel und schließlich machte sie sich mit diesem wertvollen Erfolg ein schönes Geschenk zum Ehrentag unserer Nationalen Volksarmee, zu dem allen Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren unsere herzlichsten Glückwünsche gelten. Dabei sah es bis zur Pause, als der BFC gegen den recht starken Wind spielte, der dann später nachließ, gar nicht nach einem FCV-Sieg aus. Dynamo beherrschte in dieser Zeit mehr oder weniger das Gesehenen, sorgte durch Mühlbächer, Unglaube, Wolff (allerdings nicht so stark wie gewohnt) für ein leichtes Übergewicht im Mittelfeld und trug insbesondere über Hall, Jakob und Bley gefährliche Angriffe vor, die mit herzhaften Schüssen abgeschlossen wurden.

Doch Weiß im Vorwärts-Tor übertraf sich an diesem Tag, zeigte tolle Paraden, gab seiner Elf dadurch die erforderliche Sicherheit und rettete ihr das zu Null. Wie er Bleys Kopfstoß (12.), Jakobs Kopfball (18.), Kochales Schuß (25.), Bleys (28.) und Halls (42.) Versuche zunichte machte, das zwang geradezu den Beifall der 12.000 (endlich einmal eine beeindruckende Kulisse in Berlin) heraus. Dieser Mann - der auch nach der Pause sein Können bewies — war in diesen neunzig Minuten einfach nicht zu überwinden! Was Weiß für die Abwehr bedeutete, das war Nöldner für das Mittelfeld - und Angriffsspiel des Meisters! Kaum einmal überzeugte der Halbrechte in seinem Klub so wie diesmal; er spielte wie in seinen besten Tagen in der Nationalelf! Nicht nur, daß er wunderbare Pässe schlug, daß er, einmal in Ballbesitz, kaum von der Kugel zu trennen war. daß er sich als ungemein lauffreudig erwies, von ihm ging eine ständige Gefahr für das von Bräunlich großartig gehütete Dynamo-Tor aus, wobei er allerdings nicht konsequent genug gedeckt wurde.

Zunächst prüfte er den gegnerischen Schlußmann durch einen sauber plazierten Freistoß (64.), dann durch einen sehenswerten Schuß (77.) und schließlich durch eine Doublette, die erst Bräunlich parierte, während Mühlbächer den Nachschuß von der Linie köpfte (81.). Begerad vor allem ging auf seine Ideen ein; ihm schien kein Spurt zuviel, er setzte ständig nach, und so beunruhigten allein die FCV-Halbstürmer die BFC-Abwehr, gönnten ihr in der zweiten Halbzeit kaum eine Verschnaufpause. Das 1:0 war typisch für die schnell vorgetragenen Konter des FCV, als der Ball über Krampe, Großheim und Körner zu Begerad lief, der Halblinke sich behauptete, die Kugel in die Mitte zog und der nach innen gewechselte Piepenburg unhaltbar vollstreckte. Wohl kann der BFC Dynamo auf das bessere Eckenverhältnis (9:4) verweisen, auch darauf, daß sein Kontrahent mit dem Glück des Tüchtigen im Bunde stand (als in der 75. Minute ein Verteidiger Bleys Schuß von der Linie holte), allein am Verdienst des FCV-Sieges ist nichts zu rütteln.

Mit zunehmender Spielzeit zerfiel das kollektive Zusammenwirken - sonst der große Vorteil - der Dynamo-Elf, löste sich mehr und mehr in Einzelaktionen auf, denen von vornherein der Erfolg versagt war. Die Flügel wurden kaum noch eingesetzt (Jakob stand mitunter minutenlang beschäftigungslos auf der linken Seite), und in der Mitte gab es bei der klug gestaffelten Vorwärts-Deckung kein Durchkommen. Mag sein, daß der eine oder andere höhere Erwartungen an dieses Ortsderby knüpfte, doch angesichts des hohen Einsatzes (der Sieger kann ernsthafte Titelhoffnungen hegen!) durfte man mit dem überaus fairen Spiel der rassigen Torszenen, der packenden Zweikämpfe und vor allem mit dem voll durchgestandenen hohen Tempo ohne weiteres zufrieden sein.

BFC Dynamo:
Bräunlich; Stumpf, Carow, Skaba; Mühlbächer, Unglaube; Bley, Wolff, Hall, Kochale, Jakob
FC Vorwärts Berlin:
Weiß; Fräßdorf, Unger, Krampe; Müller, Körner; Piepenburg, Nöldner, Vogt, Begerad, Großheim

0:1 Piepenburg         (56.)

Zuschauer:             12.000
Schiedsrichter:        Vetter (Schönebeck)


Klaus Schlegel, Neue Fußballwoche, 01.03.1966