05. Spieltag 1964/65: SC Dynamo Berlin - ASK Vorwärts Berlin 0:0

Hoffnung auf großes Spiel unterlag der Enttäuschung über den Leistungsabfall! /Tollen ASK-Start konnte Dynamo nur mit Mühe begegnen / Nicht zu schlagen: Torhüter Marquardt / Dynamo-Sturm forderte ASK-Deckung nicht einmal ernsthaft heraus
Wenn jemand nach zehn Minuten eine Wette angeboten hätte, daß der ASK-Angriff nicht einen Treffer erzielen würde, jeder der 10.000 hätte sie wohl angenommen und sein gesamtes Monatsgehalt auf die Vorwärts-Elf gesetzt. Vier, fünf klare Möglichkeiten hatte sich der Exmeister bis dahin schon erspielt, und das in einem Stil, der noch mehr verhieß, die Erwartungen hochschraubte und die Hoffnung aufkommen ließ, daß diese Mannschaft wieder zu den allerersten Anwärtern auf den Titel zu zählen ist. Dieser Sturmwirbel begann unmittelbar nach dem Anpfiff, als Unglaube wie so oft in diesem Spiel zu lange zögerte, Fräßdorf wie ein Blitz dazwischenfegte und die Kugel knapp neben den Pfosten jagte (1.).

Das setzte sich fort, als Nöldner mit einem 20-m-Schuß Marquardt zu sehenswerter Parade zwang (3.), und es endete noch lange nicht, nach Nachtigalls und Fräßdorfs gekonntem Duo am rechten Flügel, als drei Dynamo-Deckungsspieler durch einen Hackentrick ausgeschaltet wurden und Wirth die Flanke in einen Direktschuß umsetzte, den der Dynamo-Schlußmann prallen lassen mußte und erst nach Skabas überlegtem Eingreifen unter Kontrolle bringen konnte (9.). Diese Szenen sorgten für Stimmung auf den Rängen. Der Beifall schien den Vorwärts-Spielern Flügel zu verleihen. Klar beherrschten sie die Szene, überlegen schalteten Körner, Kiupel, Nöldner im Mittelfeld, setzten die quirligen Nachtigall, Vogt, Fräßdorf und Wirth ein, die immer wieder Marquardts Gehäuse bedrohten. Vogts Freistoß parierte Marquardt (10.), Nöldners Effetschuß flog am Pfosten vorbei (11.), Fräßdorfs Weitschuß vom rechten Flügel verfehlte nur um Zentimeter sein Ziel (13.), Nachtigall platzierte genau, doch Marquardt tauchte ins bedrohte Eck (24.).

Das waren nur die hervorstehensten Szenen, die markantesten Chancen der Gelbhemden, denen Dynamo in dieser ersten halben Stunde zwei ganze Kopfbälle Renks auf Zulkowskis Gehäuse entgegenzusetzen hatte (15., 35.). So sprach also alles für den ASK, zumal der Dynamo-Angriff zu harmlos blieb, sich nicht einmal zu einer geschlossenen Aktion fand. Auch Meyer vermochte da nichts zu machen, zu ideenarm, zu hausbacken und technisch unfertig produzierten sich Hall, Wolff und vor allem Geserich, der kaum Oberligareife nachzuweisen vermochte. Daß der aus hängender Position spielende Renk allein das ASK-Tor zu gefährden vermochte, spricht für die Harmlosigkeit dieses Sturms, der in den gesamten 90 Minuten kaum einen herzhaften Schuß fertigbrachte. Selten dürften Zulkowski und Unger einen so geruhsamen Nachmittag gehabt haben. Krampe, dem es sichtlich zu langweilig schien, nur in der Deckung zu warten, schloß oft gekonnt auf und brachte sich ausgezeichnet zur Geltung.

Doch nach einer halben Stunde ging es wie ein Riß durch die Vorwärts-Mannschaft. Eben noch hatte Nachtigall ein Dribbling mit knallhartem Schuß abgeschlossen (30.), als Sekunden später nichts mehr zusammenlief, so sehr sich auch Körner und vor allem Kiupel darum bemühten. Es hatte den Anschein, als müsse Vorwärts dem eigenen Tempo Tribut zollen, als reiche die Kraft nicht, diese schnelle Gangart durchzustehen. Waren die Dynamo-Verteidiger bis zu diesem Zeitpunkt nicht immer in der Lage, ihre Gegner zu beherrschen, so legten sie die Vorwärts-Stürmer von jetzt ab mehr und mehr an die Kette. Marquardts Ruhe strahlte auf seine Vordermänner aus, ließ vor allem Heine frühere Sicherheit und Umsicht wiederfinden. Der Stopper dirigierte seine verstärkte Deckung klug und baute im Verein mit Skaba und Dorner einen dichter werdenden Sperriegel auf.

Sicher, auch in der Folgezeit war stets zu erkennen, daß Vorwärts die feinere Klinge schlug, technisch weit besser durchgebildet ist. Allein Kapital vermochte man aus diesem Zeichen der Überlegenheit nicht zu schlagen, weil man zu zeitlupenhaft spielte, das Laufen ohne den Ball vergaß, die überraschenden Einfälle der ersten halben Stunde vermissen ließ. Daß Kiupel die Oberkante der Latte traf, (43.), daß Körners Eingabe von Nöldner und Vogt verpaßt wurde (47.), daß Nachtigall freistehend ins Aus donnerte (66.), all das verdient ohne Zweifel Erwähnung. Doch diese Situationen änderten nichts an der Tatsache, daß die Qualität des Spiels stark absank, sich in Mittelmäßigkeit und darunter verlor.

Bleibt die Frage nach den Ursachen dieses Leistungsabfalls. Neben der sicher stärkeren Gegenwirkung des SC Dynamo sind vielleicht zwei Gründe zu nennen: Einmal schien die Kraft doch nicht zu reichen, ist die konditionelle Verfassung des ASK Vorwärts noch nicht die beste, und zum anderen hatte es den Anschein, als resignierte man mit zunehmender Spielzeit, weil trotz der zahlreichen Chancen kein Tor fiel. Dennoch kann das keine ausreichende Erklärung sein, waren die Enttäuschung der 10.000 und ihre teilweie bissigen Kommentare zu verstehen. Wies der Vorwärts-Angriff zumindest eine halbe Stunde lang nach, daß er diesen Namen zurecht trägt, so blieb die Dynamo-Fünferreihe diesen Nachweis nahezu völlig schuldig. Freilich mag das auch an der mangelnden Unterstützung der Läufer gelegen haben (Unglaube schien noch das Ungarn-Spiel in den Knochen zu stecken, und auch Bley hatte außer seinem Eifer wenig Konstruktives zu bieten), doch wie man mitunter aneinander vorbeispielte, das war mehr als dürftig. Ein Glück nur, daß die Deckung ein so festgefügtes Bollwerk war.

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Dorner; Heine, Skaba, Bley; Unglaube, Wolff, Hall; Renk, Meyer, Geserich
ASK Vorwärts Berlin:
Zulkowski; Kalinke; Unger, Krampe, Körner; Kiupel, Nachtigall, Fräßdorf; Vogt, Nöldner, Wirth

Schiedsrichter:        Männig (Böhlen)
Zuschauer:             10.000

Klaus Schlegel, Neue Fußballwoche, 08.09.1964