01. Spieltag 1964/65: SC Dynamo Berlin - SC Motor Jena 1:2

Nicht pausenloser Druck, Konterschläge entschieden / Trotz ständiger Belastung hielt der SC Motor seinen wertvollen Pausenvorsprung bis zum Abpfiff / Ideenarmes Dynamo-Spiel
Aus der Not eine Tugend zu machen ist nicht jedermann gegeben. Von Trainer Georg Buschner darf das nach dem Saisonauftaktspiel gegen den SC Dynamo allerdings mit Fug und Recht behauptet werden. Vier Stammspieler standen dem SC Motor nicht zur Verfügung, ein arges Handikap für die Zeiss-Städter. Peter Ducke (Muskelfaserriß), H. Müller (Leistenzerrung), Hergert (Bänderriß) und Ahnert (machte nach seiner Meniskusoperation sein erstes Spiel in der Reserve) ersetzen zu müssen, bringt keineswegs unbeträchtliche Aufstellungsprobleme mit sich. Der SC Motor löste sie erfolgreich, wenngleich seine Spielanlage keineswegs dazu angetan war, in helle Begeisterung auszubrechen. Dafür war sein demonstriertes Betonsystem, gegen das sowohl der Schweizer Riegel als auch Herreras Superdefensive geradezu Offensivfußball darstellen, optisch erschütternd anzusehen.

Dem pausenlosen Angriffselan der Berliner begegneten die Jenaer aber mit der stoischen Abgeklärtheit erfahrener Routiniers einerseits und dem bedingungslosen kämpferischen Einsatzwillen unverbrauchter junger Kämpfertypen. Stricksner, Woitzat und Marx sicherten gemeinsam mit dem hervorragenden Rock und Otto ihren Strafraum ab, wobei aus der vorgesehenen 4-2-4-Variante (Rock und Woitzat operierten gemeinsam als Stopper) auf Grund des ständigen Abwehrzwanges alsbald eine Deckungsformierung wurde, wie sie der SC Motor schon einmal im Europapokalspiel gegen Dinamo Bukarest in Rumänien demonstrieren mußte. Doch in aller Bedrängnis, selbst in Perioden stärkster Belastung, als das Bollwerk des SC Motor zwar schon bedenklich wankte und dennoch nicht fiel (Heinzel, Rock, Marx, Lange. R. Ducke garantierten das), blieben die Jenaer mit überraschenden Konterschlägen gefährlicher, als die Berliner mit ihrer Angriffsflut.

Minutenlang belagerte der SC Dynamo den Strafraum seines Widersachers, pausenlos trieben Skaba, Stumpf, Dorner und Mühlbächer die Bälle in ihren Angriff, zwangen Jenas Deckung zu aufopferungsvoller Gegenwirkung, Einschußchancen aber blieben dennoch Mangelware. Nur zwei, ja über weite Strecken nur einen Stürmer hatte der SC Motor dagegen im eigenen Angriff (so man überhaupt davon sprechen durfte!) zu stehen, aber welche Dynamik wohnten den Gegenstößen, sporadischer Natur, inne. So oft auch ein befreiender Abwehrschlag für ein wenig Luft sorgte, stets gelangte er auf den linken Flügel. Und dort standen entweder Roland Ducke, Seifert oder Krauß zur Ballannahme bereit, wußten aus ihren wenigen Möglichkeiten viel, sehr viel sogar zu machen. Nur zwei Sturmspitzen unter Kontrolle zu bringen, sollte eigentlich ein leichtes Unterfangen sein. Erst recht dann, wenn man sich in der eigenen Abwehr auf eine zahlenmäßige Überlegenheit stutzen kann! Das durfte dem SC Dynamo normalerweise nicht schwerfallen. Und doch behielt er gleich zweimal das Nachsehen, sah sich urplötzlich mit 0:2 im Hintertreffen.

Daß dieser Rückstand die moralischen Qualitäten der Berliner nicht gerade stärkte, war durchaus verständlich. Doch das Blatt schien sich noch zu wenden. Die Erinnerung an das 2:5-Debakel des SC Motor gegen den SC Dynamo aus dem vergangenen Jahr wurde in uns wach (auch damals lagen die Zeiss-Städter zur Pause mit zwei Toren in Front), als nach dem Wechsel schon nach sechs Minuten Geserich den Anschlußtreffer erzielte. Dabei blieb es aber auch. Dynamo warf zwar seine ganzen kämpferischen Energien in die Waagschale - endlich machten auch Geserich und Hall von ihren spielerischen Mitteln Gebrauch -, zwang den SC Motor, dessen konditionelle Potenzen mehr und mehr schwanden, zu einer leidenschaftlichen Abwehrschlacht. Nach wie vor ermangelte es den Berlinern jedoch an Überraschungseffekten, am Einfalls- und Ideenreichtum und an der letzten Konsequenz, das Steuer noch herumzureißen. Und als Skaba mit einem tollen Hinterhaltsschuß nur die Unterkante der Latte traf (53.) und Wolff die wohl größte Chance des ganzen Spiels ausließ (87.), als er freidurchlaufend an Heinzel scheiterte, waren die Würfel gefallen.

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Stumpf, Heine, Skaba; Dorner, Unglaube, Hall, Mühlbächer; Bley, Wolff, Geserich
SC Motor Jena:
Heinzel; Stricksner, Rock, Otto; Marx, Woitzat, Polywka; Seifert, Lange, Krauß, R. Ducke

0:1 Seifert            (28.)
0:2 Polywka            (37.)
1:2 Geserich           (51.)

Schiedsrichter:        Vetter (Schönebeck)
Zuschauer:             9.000

Günter Simon, Neue Fußballwoche, 11.08.1964