04. Spieltag 1963/64: BSG Lok Stendal - SC Dynamo Berlin 2:1

Aufopferungsvoller Einsatz / Dynamo vergab den Sieg
Die Stärken beider Kontrahenten waren unterschiedlicher Natur. In einem Spiel, das für beide Mannschaften unter dem besonderen Gesichtspunkt stand, den Anschluß an das Mittelfeld herzustellen, um den zwangsläufigen psychologischen Belastungen der am Tabellenende plazierten Gemeinschaften erst einmal ledig zu sein, imponierte der SC Dynamo von Beginn an mit einem konstruktiven, technisch wirkungsvollen und vor allem offensiven Kombinationsspiel. Es beinhaltete ein raumgreifendes, schnelles und bewegliches Flügelspiel (sehr stark Klingbiel!), reibungslos von Mühlbächer und Nebeling in Szene gesetzt. Trotz dieser spielerischen Vorzüge erreichten die Berliner nicht den erfolgreichen und notwendigen Torabschluß, weil aussichtsreiche Einschußmöglichkeiten durch mangelnde Cleverneß und Kaltblütigkeit nicht genutzt wurden. Hall (12.), nach einer blendenden Direktkombination über Klingbiel-Hofmann-Bley, und Klingbiel (21. und 23.) ließen zwingende Chancen aus, und als Ißleb nach einer verunglückten Faustabwehr schon überwunden war, schlug Weißkopf (43.) das Leder noch von der Linie!

Bereits vor der Pause verlor der SC Dynamo das Spiel, den späteren Rückstand im leidenschaftlichen Kampf vermochte er schon gar nicht mehr zu zwingen! Dagegen erreichte die Lok-Elf ihre größte Wirkung durch das mitunter prachtvolle Harmonieren zwischen Liebrecht (Bley ließ dem Nationalspieler sträflich großen Spielraum!) und Güssau. Ihre gedankliche und handlungsmäßige Übereinstimmung fand eine Fortsetzung aber nur noch in dem von Lindner klug organisierten, die Manndeckung bevorzugenden Abwehrspiel, während der Angriff seine Wirksamkeit und Torgefährlichkeit mehr der Gunst des Augenblicks, überraschender Situationen und dem kämpferischen Element verdankte, denn spielerischer Gefälligkeit und intelligentem, variablem Handeln. Sichtbarster Ausdruck dessen waren beide Tore, die einmal fehlerhaftem (Marquardt) und zum anderen unkonsequentem Reagieren (Nebeling und Mühlbäcker) entsprangen. Nicht anders verhielt es sich allerdings auch beim Ausgleichstor durch Geserich, als Ißleb einem 40-Meter-Freistoß von Mühlbächer - noch aus der eigenen Hälfte - nicht die erforderliche Aufmerksamkeit schenkte und miserabel berechnete!

Bei aller kritischen Betrachtung aber der dem Stendaler Spiel noch innewohnenden Mängel, die durchaus vorhandenen technischen Qualitäten in allen Mannschaftsreihen ins rechte Licht zu rücken, verdient ein Aspekt besondere Hervorhebung: Die Lok-Elf ist härter (innerlich und äußerlich), sachlicher und zweckbetonter geworden. Sie weiß um die Wirksamkeit des nüchternen, gradlinigen Erfolgsstils, und sie ist darüber hinaus zu einem leidenschaftlichen Einsatzwillen und zu einer tollen kämpferischen Energie befähigt, die den spielerischen Rhythmus des Gegners empfindlich zu stören oder gar gänzlich zu unterbinden vermag. Das gelang vornehmlich in der Schlußphase in zunehmendem Maße, wobei die Verbissenheit und Hartnäckigkeit bis zur größten physischen Verausgabung gesteigert wurde. Dieser entfesselten Bereitschaft, dieser elementaren Widerstandskraft (Lindner, Prebusch, Weißkopf, Liebrecht, Güssau) entsprechend eindrucksvoll zu begegnen, gelang dem SC Dynamo nicht mehr. Seine Angriffsreihe (Hall, Bernd Hbfmann und Bley) war zu einer kraftvollen Steigerung nicht mehr fähig, um den ersten vollen Meisterschaftserfolg des Neulings verhindern zu können.

BSG Lok Stendal:
Ißleb; Felke; Lindner, Prebusch, Weißkopf; Liebrecht, Strohmeyer, Küchler; Backhaus, Karow, Güssau
SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Stumpf, Heine, Skaba, Mühlbächer; Nebeling, Klingbiel, Bley; Hall, Hofmann, Geserich

1:0 Karow              (15.)
1:1 Geserich           (63.)
2:1 Backhaus           (70.)

Schiedsrichter:        Zülow (Rostock)
Zuschauer:             9.000

Günter Simon, Neue Fußballwoche, 03.09.1963