05. Spieltag 1962/63: SC Wismut Karl-Marx-Stadt - SC Dynamo Berlin 0:1

Berliner Dynamo-Angriff spielte mit Schwung und Herz / Maschke, Heine, Schröter und Erler empfahlen sich nachdrücklich fürs Länderspiel
Der Freund des schnellen, kampfbetonten, abwechslungsreichen Spieles dürfte auf seine Kosten gekommen sein. Es gab rasante Zweikämpfe, eine Fülle dramatischer Torszenen und prächtige Torwartparaden. Aber wer von den Zuschauern in Aue dachte daran; sie wollten ihre Elf stürmen sehen, und die blieb es Ihnen schuldig. Sie wollten fünf Stürmer sehen, aber sie sahen nur einen (Erler). Nur einen, der neben dem Einsatz und Kampfgeist auch Spielintelligenz, Gewitztheit und Besonnenheit zeigte. Sie wollten konstruktive, dynamische Läufer sehen, die den Blick nach vorn gerichtet haben. Aber das boten weder Enold noch Killermann (letzterer allerdings verletzte sich vor der Pause erheblich und war danach behindert).

So blieben ein erstklassiger Stürmer (Erler), ein ordentlicher Stopper (Müller) und ein stellungssicherer, reaktionsschneller Torwart (Thiele). Drei Mann, die überragten. Kann man damit ein Spiel gewinnen? Wohl kaum, es sei denn, der Gegner gibt sich sträfliche Blößen. Darauf zu hoffen, wäre eine witzlose Spekulation gewesen. Dazu ist der SC Dynamo zu erfahren, zu clever, zu ausgeglichen besetzt auch in den einzelnen Mannschaftsformationen. Obendrein erscheint Dynamo gegenwärtig spielerisch sehr ordentlich in Schuß. Das muß man besonders erwähnen. Kein Sieg der vergangenen Wochen ist zufällig erspielt worden. Die Berliner haben auch in auswärtigen Begegnungen ihre ansteigende Leistungskurve ganz klar unterstrichen.

Über die Abwehr viele Worte zu verlieren, wäre müßig. Heine ist zum rechten Zeitpunkt wieder in bester Länderspielverfassung. Er bestand ohne nennenswerten Fehl und Tadel. Skaba und Bräunlich sind die personifizierte Zuverlässigkeit, und der junge Stumpf hielt sich neben seinen erfahrenen Kollegen mit einer erstaunlichen Bravour und mit Geschick. Die größte Freude hatten die Länderspielkandidaten den beiden anwesenden Verbandstrainern Karoly Sons und Hans Studener bereitet, denn vor dem Spiel gegen Jugoslawien sind die Sorgen leider nicht gering. Herbert Maschke, Günter Schröter und Werner Heine präsentierten sich spielerisch und körperlich in einer sehr ansprechenden Form.

Maschke und Mühlbächer, die beiden Läufer, und "Moppel" Schröter waren es, die dem Dynamo-Angriffsspiel das Profil gaben. Alle drei leisteten ein großes Arbeitspensum und operierten dabei geschickt und zweckmäßig. Was sie taten, hatte Hand und Fuß. Damit konnten die schnellen Geserich, Schnaase und der sich nach der Pause beträchtlich steigernde Klingbiel allerhand anfangen. Der Dynamo-Angriff hatte Schwung, Rhythmus und Herz. Daran ändern auch nichts einige kleine Abschwächungen. So war Schnaase bei B. Müller stets gut aufgehoben, fand Bley nicht immer den richtigen Spielfaden und brauchte Klingbiel fast eine Halbzeit, ehe er nach seiner Verletzung wieder das nötige Selbstvertrauen gewann.

Wenige Minuten nach der Pause war die Überraschung perfekt. Den Berlinern gelang seit Jahren der erste Sieg in Aue. Dynamo bestimmte das Geschehen. Die Berliner spielten die größeren Torchancen heraus. Und vier Minuten nach der Pause erzielte Geserich das goldene Tor des Tages. Den Flankenball von Klingbiel schoß Schnaase aufs Tor, Thiele parierte reaktionsschnell, aber den abgewehrten Ball angelte sich der Linksaußen und schoß kaltschnäuzig ein. Wismut war an diesem Tage eine Enttäuschung, daran gibt es keinen Zweifel. Mit Flitzern allein läßt sich kein Sturmspiel inszenieren. Der prächtig aufgelegte Erler konnte sich da noch soviel Mühe geben, er fand keine Gegenliebe bei seinen Nebenleuten, so exakte, geschickte Pässe er auch schlug, so ideenvoll er wirkte.

An diesem Tage spürte man so recht das Fehlen der Routiniers Kaiser und S. Wolf, die beide verletzt . zum Zuschauen verurteilt sind. Blaß blieben auch beide Läufer, sie gaben dem Sturm nicht den Rückhalt, versorgten ihn nicht mit dem nötigen Ballnachschub. Und nicht zuletzt: Auf Linksverteidiger Wachtel, der Neuentdeckung der vergangenen Tage, waren die kritischen Augen der beiden Verbandstrainer besonders gerichtet. Er hatte eine große Chance für das Länderspiel gegen Jugoslawien. Er hätte uns einer großen Sorge nach der Verletzung Krampcs entheben können. Doch, leider, er bestand diese Prüfung nicht. Nach großartiger Empfehlung einer guten ersten Halbzeit, gab er sich nach der Pause bedenkliche Blößen gegen den sich steigernden Klingbiel, die eine Berufung kaum rechtfertigen.

SC Wismut Karl-Marx-Stadt:
Thiele; Wagner; B. Müller, Wachtel, Killermann; Enold, Einsiedel, Erler; Eberlein, Schaarschmidt, Zink
SC Dynamo Berlin:
Bräunlich; Stumpf, Heine, Skaba; Mühlbächer, Maschke, Klingbiel; Bley, Schnaase, Schröter, Geserich

0:1 Geserich             (49.)

Schiedsrichter:          Glöckner (Leipzig)
Zuschauer:               12.000

Wolf Hempel, Neue Fußballwoche, 11.09.1962