36. Spieltag 1961/62: SC Dynamo Berlin - SC Lok Leipzig 3:2

In letzter Minute Blatt gewendet
Als schon niemand mehr so recht damit rechnete, wurde aus dieser Begegnung noch ein hochinteressantes, wechselvolles und sogar dramatisches Duell. An sich konnte man von beiden Mannschaften erwarten, daß sie angesichts ihrer beruhigenden Position Irisch und munter, durchweg ohne jegliches taktisches Korsett aufspielen würden. Aber es muß der jungen Leipziger Mannschaft schon so in Fleisch und Blut übergegangen sein, daß sie sich (auch ohne Anweisung von der Trainerbank) jeweils nach der Führung darauf beschränkt, den Erfolg zu sichern. Kaum war der von Bräunlich verpatzte Treffer durch Gawöhn gefallen (der Torwart lenkte einen Eckball ins Netz), ruckten die Leipziger Halbstürmer Fischer und Dallagrazia weit ins Mittelfeld zurück und ließen Gase, Gawöhn und Frenzel ohne nennenswerte Unterstützung.

Da Frenzel nicht die Energie aufbrachte, wie Gase und Gawöhn oft bis zur Mittellinie zurückzuweichen und sich die Bälle selbst zu holen, hatte die Dynamo-Abwehr kaum große Sorgen. Die Berliner konnten sich ungestört auf die Verfolgungsjagd machen. Hier bewiesen der einsatzfreudige Quest und der schnelle Schmidt, welch Auftrieb ihnen das gute Spiel gegen den ASK gegeben hatte. Mit Eifer jagten sie in die von Maschke, Schröter und Bley umsichtig vorbereiteten Gassen, und zögerten auch mit kräftigen Schüssen nicht. Daß dies bisweilen noch unüberlegt und auch ein wenig überhastet geschah, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Ihr Bemühen wurde belohnt. Erst erzielte Quest im Anschluß an einen Eckball den Ausgleich, und drei Minuten vor Abpfiff nutzte er ein Zuspiel von Bley, den überhaupt nicht schaltenden Nauert zum zweiten Male zu überlisten.

Offenbar hatte Lok-Trainer Kunze seine "Schäfchen" bei Halbzeit ins Gebet genommen; denn sie trumpften nach Wiederbeginn auf, daß man seine helle Freude an ihren Aktionen haben konnte. Endlich übernahmen Fischer Dallagrazia die ihnen so gut liegende Rolle als Verbinder. Sofort kam System und damit Gefährlichkeit in die Aktionen. Frenzel taute auf, und auch Gase, Gawöhn kamen mehr zur Geltung. Zwei herrliche Durchbrüche wurden mit sehenswerten Schüssen abgeschlossen. Aber mit dem Glück waren die Leipziger diesmal nicht im Bunde. Beide Schüsse donnerten an den Pfosten. So gut Lok in der Folgezeit aufspielte, so sehr vermißte man bei Dynamo eine wirkungsvolle Gegenwehr. Gewiß, die Abwehr, sieht man vom unsicheren, vor allem bei hohen Eingaben hilflosen Bräunlich ab, machte ihre Sache recht ordentlich, aber im Angriff lief nichts mehr ineinander.

Schon schienen die Leipziger trotz der schwächeren ersten Spielhälfte drauf und dran, dem Ausgleich auch den Siegestreffer folgen zu lassen, da rafften sich vor allem Schröter und Maschke noch einmal zusammen und rissen das Steuer herum. Mit weiten Schlägen trieben sie ihre jungen Stürmer nach vorn. Wohl fehlte jetzt jene klare spielerische Linie der ersten Halbzeit, aber man war ausgefuchst genug, die Schwäche der Leipziger Außenverteidiger Krause/Herrmann zu nutzen. Quest servierte dem völlig ungedeckten Koinzer das Leder, und der wuchtete es direkt an die Innenkante der Latte. Bley war zur Stelle und köpfte ein. so den Sieg noch in letzter Sekunde rettend.

SC Dynamo Berlin:
Bräunlich: Dorner, Heine, Skaba; Becker, Maschke, Schmidt, Schröter, Quest. Bley, Koinzer
SC Lok Leipzig:
Nauert; Herrmann, M. Walter, W. Krause; Gießner, Slaby; Gase, Dallagrazia, Frenzel, Fischer, Gawöhn

0:1 Gawöhn           (10.)
1:1 Quest            (18.)
2:1 Quest            (42.)
2:2 Gawöhn           (69.)
3:2 Bley             (83.)

Schiedsrichter:      Vogel (Karl-Marx-Stadt)
Zuschauer:           3.000

Horst Friedemann, Neue Fußballwoche, 15.05.1962