28. Spieltag 1961/62: SC Wismut Karl-Marx-Stadt - SC Dynamo  Berlin 1:1

Wismuts große Energieleistung / Günter Simon : Von Schröter klug geführte Dynamo-Elf später schwer in Druck Mühlbächer traf in der 82. Minute nur den Pfosten
Rufen wir uns die für den gesamten Spielverlauf wohl entscheidendste Szene noch einmal in das Gedächtnis zurück, jene Situation, die die Begegnung in zweifacher Hinsicht so ungemein beeinflußte: Wenige Sekunden vor dem Pausenpfiff setzte sich Mühlbächer im Dribbling gegen Seifert und Bringfried Müller durch. Aus nur zehn Meter Entfernung schoß der Mittelstürmer der Dynamo-Elf scharf ab, doch urplötzlich wurde der Lauf des flach geschossenen Balles aufgehalten, eine Wasserlache im Wismut-Strafraum verhinderte den fast sicher scheinenden zweiten Treffer der Berliner. Was dem SC Dynamo nicht zur Freude gereichte, rüttelte die Wismut-Kumpel auf, machte ihnen nur zu deutlich, daß es im zweiten Spielabschnitt höchster Konzentration und letzten Einsatzwillens bedurfte, um dem Spiel noch eine positive Wende zu geben.

Und schwer genug wurde es den Männern um Dieter Erler, Bringfried Müller und Manfred Kaiser von der Berliner Dynamo-Elf gemacht, die bereits in den Anfangsminuten die taktische Konzeption des SC Wismut gegenstandslos werden ließ. "Unser Vorhaben, Siegfried Wolf mit der Aufgabe des aus rückwärtiger Position operierenden Halblinken zu betrauen, um mit ihm und Dieter Erler zwei Spielgestalter im Angriff zu besitzen, während Seifert sich auf die Abwehr und hier vor allem auf Schröter konzentrieren sollte", erläuterten uns Armin Günther und Karl Wolf, “wurde durch den von Quest schon frühzeitig erzielten Führungstreffer der Berliner derart durchkreuzt, daß uns die Torsicherung jetzt nur noch bedingt interessierte, wir vielmehr alles daransetzen mußten, um unser eigenes Angriffsspiel zu forcieren." Doch diese Rechnung wurde ohne das von "Moppel" Schröter prächtig inspirierte Dynamo-Kollektiv gemacht.

Ungeachtet eines unmittelbar nach dem Anpfiff erfolgten Sturmlaufes durch Einsiedel inszenierten Schröter und Renk überraschend gefährliche Spielzüge, die von der Wismut-Abwehr größte Aufmerksamkeit erforderten. Wenn auch Dynamo in einigen Situationen eine torgefährliche Angriffsspitze fehlte, schufen rasante Sprints von Klingbiel - nach seiner langwierigen Verletzung erstmals wieder eingesetzt - und Quest genügend Torschußmöglichkeiten. Zu diesem Zeitpunkt bestach die verständnisvolle Verbinderleistung Renks, der auf allen Positionen auftauchte und trotz schweren Bodens für verblüffende Kurzpaßfolgen sorgte, ebenso wie die exakte Abwehrkunst der gesamten Deckung. Zwar gelangen Einsiedel, Killermann und Erler mehrere eindrucksvolle Schüsse (8., 14., 28. und 35. Minute), doch erwiesen sich Dorner, Heine und Skaba sowie Marquardt im Tor mit einer tadelsfreien Leistung schier unüberwindlich.

Dynamo war sich seiner spielerischen Mittel sicher, bis zu jener eingangs geschilderten Situation, bis zum Pausenpfiff. Doch dann brach es über die Berliner herein. Mit unvorstellbarem Elan, leidenschaftlichem Einsatz und ungebrochenem Kampfeseifer stürmten die Erzgebirgler, eine Willensanstrengung und Energieleistung ohnegleichen boten die Männer um Erler, Kaiser, S. Wolf und Bringfried Müller, der sich auch das begeisterungsfähige Publikum nicht verschloß, das seine ungeteilten Sympathien dem SC Wismut zollte. Dynamo entglitt das Spiel, diese entfesselte Wismut-Elf, die ihre ungenügende vorsonntägliche Partie gegen den ASK Vorwärts mehr als vergessen ließ, war nicht mehr aufzuhalten. Unvorstellbar, wie die vom aufgewühlten Boden schwer gezeichneten Einsiedel - er hatte in der zweiten Halbzeit mit Zink die Position getauscht -, Killermann und Zink die Dynamo-Abwehr unter Atem hielten, S. Wolfs. Kraftreserven einfach unerschöpflich anmuteten und Erler mit verblüffend gekonnten Täuschungsmanövern seine Gegenspieler narrte.

Daß die Abwehr Dynamos vor dieser Sturmflut des Wismut-Teams nur einmal zu kapitulieren brauchte, nur den Ausgleichstreffer hinnehmen mußte, war vornehmlich Werner Heine im Deckungszentrum zu danken, der, ungeachtet einiger ungenauer, überhasteter Abwehrschläge, stets für seine die Übersicht verlierenden Abwehrkameraden einzuspringen wußte, wenn es die Situation erforderte. Es wäre unbillig zu verschweigen, daß Mühlbächer in der 82. Minute nur den Pfosten traf und daß Bleys Scharfschuß in der 88. Minute nach einer Doppelecke von den Körpern mehrerer Wismut-Spieler aufgehalten wurde - dennoch, der unentschiedene Spielausgang wurde beiden Mannschaften gerecht, deren Bemühen, zu gutklassigem Fußball zurückzufinden, ehrliche Anerkennung verdient.

SC Wismut Karl-Marx-Stadt:
Hambeck; Gerber, B. Müller, Enold; S. Wolf, Kaiser; Zink, Erler, Killermann, Seifert,  Einsiedel
SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Dorner, Heine, Skaba; Bley, Maschke; Klingbiel, Renk, Mühlbächer, Schröter, Quest

0:1 Quest                (6.)
1:1 Zink                 (54.)

Schiedsrichter:          Köhler (Leipzig)
Zuschauer:               4.000 in der Alfred-Scholz-Kampfbahn in Hoyerswerda

Autor nicht bekannt, Neue Fußballwoche, 06.03.1962