12. Spieltag 1961/62: SC Chemie Halle - SC Dynamo Berlin 2:5

Nach 22 Minuten war schon alles entschieden / Abwehrfehler sorgten für frühen Rückstand / Dynamo brauchte nie voll aufzuspielen
Die Überraschung blieb nicht aus. Nicht nur im Lager des SC Empor und des ASK Vorwärts Berlin, beide härteste Verfolger der Dynamo-Elf, hatte man damit geliebäugelt, den Spitzenreiter in Halle straucheln zu sehen. Doch noch nie war wohl die mit der einmaligen Rekordserie (seit dem 29. Mai 1960 hat man eine einzige Niederlage hinnehmen müssen) aufwartenden Elf des Vizemeisters von einer Niederlage so weit entfernt wie an diesem Sonnabend. Die Gastgeber waren praktisch schon nach gut 20 Minuten hoffnungslos 0:3 abgeschlagen. Dynamo spielte in dieser Phase zweifellos recht ordentlich. Bereits aus der Abwehr heraus liefen die Kombinationen über die fleißigen, die Bälle nach Belieben von einer auf die andere Seite verteilenden Läufer in den Angriff. Kluge Positionswechsel und schöne Schüsse aus allen Lagen unterstrichen auch die Gefährlichkeit der Dynamo-Elf. Aber zwingend schien diese Spielweise noch nicht.

Daß sie dennoch ausreichte, Halle in die Knie zu zwingen, kann also seine Ursachen nur in den Reihen der Gastgeber haben. Tatsächlich erreichte die Abwehr nie ihr wahres Leistungsvermögen. Ja, jedem einzelnen, vor allem den Verteidigern, unterliefen Fehler, wie wir sie in einer Oberliga-Elf lange nicht gesehen haben. Ohne zu übertreiben und den Erfolg Dynamos schmälern zu wollen, die alles entscheidenden ersten drei Treffer kamen einem Geschenk gleich: Beim ersten Tor bringt K. Hoffmann den Ball nach einem Abstoß kaum aus Strafraum. Poklitar schaltet ein, wird gefoult. Heine donnert den 16-m-Freistoß an der mit 5 Mann für seine Schußstärke eben zu schwach besetzten Mauer - unserer Meinung nach stand sie auch noch falsch - unnachahmlich in die Maschen.

Noch schlimmer kommt es bei Tor Nr. 2. Hier diskutiert fast die gesamte Abwehr mit einer wahren Inbrunst um einen Ausball (Linienrichter Vogel wird aus 10 m Entfernung doch entscheiden können, ob das Leder die Linie überschritten hatte oder nicht), Dynamo spielt inzwischen Mühlbächer völlig frei und erzielt das 0:2. Sechs Minuten später schließlich nutzt Poklitar die Verwirrung, die Chemie-Abwehr "baute" eine Abseitsfalle, die mißglückte, zum alles entscheidenden 0:3. Damit war das Spiel gelaufen, bevor es eigentlich so recht begonnen hatte. Bitter für die Gastgeber. Aber gegen eine so ausgefuchste Elf wie die des Spitzenreiters kann man sich derartige Schnitzer einfach nicht erlauben. Die frühe Entscheidung nahm dem Spiel natürlich viel von seinem Reiz, viel von seiner Würze. Daß die restlichen 70 Minuten dennoch kurzweilig, interessant verliefen, wollen wir gern bestätigen. Chemie hatte daran, da man auch nach dem 0:3 nie aufsteckte, sondern immer wieder voller Eifer, vor allem eben im Angriff, Dynamo zum Kampf forderte, keinen geringen Anteil.

Busch's sehenswertes Anschlußtor (er segelte im Hechtsprung in einen abgedrehten Torschuß Schmittingers) ließ noch einmal Hoffnung aufkommen. Doch sofort legte Dynamo wieder einen Schritt zu, nutzte die Schwäche in der Abwehr kaltblütig. Wie man dies tat, zeugt schon von der spielerischen Reife der Berliner. Immer wieder die schnellen Flügel Klingbiel und Hofmann durch haargenau in den lauf gespielte Pässe einsetzend (Maschke, Schröter, Mühlbächer taten dies vorbildlich), rissen sie die zu unbewegliche Chemie-Abwehr auf. Das vierte Tor war typisch dafür: Klingbiel stürmte am rechten Flügel (!) Minnich davon. Obwohl der Verteidiger förmlich am Mann klebte, rückte K. Hoffmann aus dem Deckungszentrum nach Außen (keiner sicherte für ihn). Klingbiel erkannte die Blöße sofort, hob das Leder zur Mitte, wo es Poklitar direkt mit dem Seitspann ins Netz lenkte. Wer wollte es den Berlinern verübeln, daß sie nach diesem Vorsprung nicht mehr taten, als unbedingt nötig erschien.

SC Chemie Halle:
Falke; Heyer; K. Hoffmann, Minnich (55. Gutz); Kleine, Richter; Strahl, G. Hoffmann, Schmittinger, Lehrmann, Busch
SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Sarost, Heine, Skaba; Bley, Maschke; Hofmann, Mühlbächer, Poklitar, Schröter, Klingbiel

0:1 Heine              ( 6.)
0:2 Mühlbächer         (16.)
0:3 Poklitar           (22.)
1:3 Busch              (26.)
1:4 Poklitar           (32.)
1:5 Maschke            (63.)
2:5 Hoffmann           (70.)

Schiedsrichter:        Kunze (Karl-Marx-Stadt)
Zuschauer:             3.000

Horst Friedemann, Neue Fußballwoche, 06.06.1961