11. Spieltag 1961/62: SC Dynamo Berlin - ASK Vorwärts Berlin 1:3

Berliner Lokalderby - Mittelpunkt des Mittwoch-Spieltages: Des Meisters spielgestaltende Kraft nach Halbzeit nicht einzudämmen! / Trotz 0:1 nach 120 Sekunden: Glanzvolle Steigerung!
Wie sehr schien doch alles gegen den Meister zu laufen! Zunächst: 0:1 schon nach knapp 120 Sekunden nach blitzschnellem Konter über die Stationen Schröter (herrlicher Paß!)-Klingbiel (kluge Eingabe von rechts)-Mühlbächcr (Kopfstoß aus dem Liegestütz heraus). Und wie eindringlich hatte doch ASK-Trainer Seeger darauf hingewiesen: "Vermeidet einen plötzlichen Ruckschlag, schenkt der straffen Organisation der Abwehr größtes Augenmerk!" Schließlich: Nach verdauter Schockwirkung, nach wiedergefundenem Selbstvertrauen und der spielerischen Harmonie, zwei eindeutige Chancen vergeben: Kopfball von Riese an die Latte, Kopfball von Nöldner, das Quergebälk streifend, ins Aus! Zwischendurch gelungene Dynamo-Abwehraktionen in höchster Bedrängnis.

Trotzdem: Kein Treffer! Dann der Halbzeitpfiff. So hatte der ASK also, ungefähr von der 20. Minute an, seinem spielerischen Übergewicht Ausdruck verliehen, zahlenmäßig aber noch nicht den Rückschlag von der 2. Minute ausgleichen können! Jene imposante Steigerung jedoch deutete den Ablauf innerhalb kurzer Zeitspanne nach Wiederbeginn schon an. Wie sehr sich der Meister aber steigerte, sich jetzt immer besser des erfolgversprechenden, klugen Spiels bediente, überraschte dennoch, weil in jenem Ausmaß kaum zu erwarten! Denn: Knüpften jene 20 Minuten nicht an die Zeit verwirrenden, kaum aufzuhaltenden ASK-Spiels an? Fraglos ja! Welch hervorragendes, kurzes Zusammenspiel der Innenreihe, zumeist gebildet von Hoge, Meyer und Nöldner, das den taktischen Erfordernissen jederzeit Rechnung trug: Keine Langpässe in den Bereich des antrittsschnellen Heine! Sondern: Blitzschnelles Zusammenwirken auf begrenzter Fläche! Welche Sorgen hatte Dynamos Abwehr so, wie unerhört schwer es vor allem Heine gegen den ballführenden Nöldner.

Kaum einmal vermochte Dynamos Mittelverteidiger ihn wirkungsvoll abzublocken. Von jener beispielhaften Stoßkraft sahen wir den Mittelstürmer zuletzt kaum! Oder aber: Nicht minder eindrucksvoll Hoges Aktionen, Rieses kraftvolles Drängen, Körners überlegtes Schalten im Mittelfeld, Meyers Klugheit bei zahlreichen Paßbällen. Tatsächlich eine ausgewogene Formation - nicht nur, was die Angriffsreihe anbetrifft! Denn: Auch die Abwehr erhielt nach anfänglichen Unsicherheiten Halt und Selbstsicherheit, bekam insbesondere mehr Gleichgewicht und Ruhe durch Ungers Neueinsatz in der 46. Minute. Und mußte sich Kiupel vorher noch im unmittelbaren Kampf mit Poklitar dreimal kurz hintereinander der Gefahr entziehen durch Ausschlagen des Balles zur Ecke, so fand der Meister in ihm und dem sich prachtvoll steigernden Kalinke später sicheren Rückhalt.

So also war in jeder Beziehung das erforderliche Gleichgewicht der Kräfte gewahrt! Eben das jedoch fehlte dem SC Dynamo nach verheißungsvollem Auftakt! So bedauerlich und gewiß auch schwerwiegend Schröters Ausscheiden in der Phase spielbestimmender Rolle war: Durfte der Spitzenreiter ohne sein wirkungsvolles Gestalten derart die Linie verlieren? Denken wir an die Abwehr: Wie viele ungenaue Schläge nach der Pause, wie viele Unsicherheiten bei der Deckungsarbeit, wie viele Blößen dem Gegner vermittelnd! Wo auch, so fragten wir uns, blieb Mühlbächers Initiative im Mittelfeld, sein kraftvolles Drängen nach vorn, seine oft bestaunte Eigenschaft, selbst die Entscheidung zu suchen? Zu sehr ließ sich die Elf aus dem Rhythmus bringen, beeindrucken von des Gegners Elan. Deshalb in erster Linie blieb es ihr versagt, einem von unerhörter Willensbereitschaft besessenen Gegner standzuhalten!

Zu sehr blieb doch, insgesamt gesehen, das erfolgreiche Wirken beschränkt auf einzelne Spieler. Sicherlich: Bleys Aktionsradius im ersten Abschnitt schien fast übermächtig und kaum einzuengen von Körner. Doch zu sehr lastete die Verantwortung auf ihm und Maschke, zu stark war später auch die Gegenwirkung. So blieb dann auch, dadurch bedingt, die Gefährlichkeit der Dynamo-Angriffsreihe fast völlig aus. Nur einmal mußte Spickenagel retten gegen Poklitars Kopfball aus Nahdistanz. Welch krasses Verhältnis, denn zweimal noch hatte Marquardt auf der Gegenseite schon keine Möglichkeit des Zugriffs mehr, als Körners und Hoges Bälle am Pfosten endeten. Auch diese Chancen und weitere günstige im Verlauf der zweiten Halbzeit bestätigten es: Der ASK war nicht aufzuhalten!

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Starost, Heine, Skaba; Bley, Maschke; Schmidt, Mühlbächer, Poklitar, Schröter (30. Gadow), Klingbiel
ASK Vorwärts Berlin:
Spickenagel; Kalinke, Kiupel, Krampe; Vogt (46. Unger), Reichelt; Riese, Meyer, Nöldner, Körner, Hoge

1:0 Mühlbächer         ( 2.)
1:1 Nöldner            (47.)
1:2 Nöldner            (50., Foulstrafstoß)
1:3 Meyer              (55.)

Schiedsrichter:        Bergmann (Hildburghausen)
Zuschauer:             20.000


Dieter Buchspieß, Neue Fußballwoche, 13.06.1961