26. Spieltag 1960: SC Dynamo Berlin - BSG Chemie Zeitz 3:0

Dynamo Vizemeister - Zeitz steigt ab! / Offensiver Mühlbächer zeigte seine Stärken / Schröter dirigierte, Poklitar vollstreckte / Zeitz in der zweiten Halbzeit ausgespielt!
Nach Ablauf der ersten 15 Minuten war für Zeitz noch alles drin. Die Mannschaft hatte das torlose Unentschieden nicht gehalten, sondern sich durch wuchtige Gegenstöße immer wieder freigemacht. Die Elf sah in dieser Phase gar nicht einmal schlecht aus. Aber schon jetzt deutete sich an, daß Chemie das Spiel wahrscheinlich nicht zu seinen Gunsten entscheiden konnte. Deshalb nicht zu seinen Gunsten, weil der entscheidende Mann des Zeitzer Spieles der Torjäger und Kapitän Bauchspieß in Werner Heine seinen absoluten Meister gefunden hatte. Heine konnte es sich erlauben, weit aus der Deckung herauszugehen, nach vorn zu stoßen. Selbst wenn dann der Zeitzer Torschützenkönig dieser Saison einmal wuchtig nach vorn stieß, dann entschied immer die Schnelligkeit zugunsten unseres Nationalstoppers.

Heine beherrschte seinen Gegenspieler souverän, schaffte dadurch die Voraussetzungen für den Dynamo-Sieg in der zweiten Halbzeit. Und es gab kaum Zeitzer Spiele ohne ein Tor von Bernd Bauchspieß. Zwar demonstrierte Dynamo (nun in den letzten siebzehn Spielen dieser Saison ungeschlagen und dazu im letzten Spiel noch Vizemeister geworden) schon vor dem Halbzeitpfiff seine klare technische Überlegenheit, zwar merkte man der Mannschaft an, daß sie auch dieses Spiel unbedingt gewinnen wollte, aber trotzdem lief noch lange nicht alles nach Wunsch, und die Sorgenfalten im Gesicht von Janos Gyarmati waren zu diesem Zeltpunkt noch sehr stark zu sehen. Zugegeben: Die Dynamos hatten eine langanhaltende Offensive, aber sie fanden trotzdem jetzt noch keine entscheidende Lücke in der umsichtig organisierten Abwehr der Zeitzer.

Und einmal hielten die Anhänger der Berliner den Atem an, als Bauchspieß, der in vielen Szenen den Ball zu lange hielt, plötzlich an Dorner vorbei war, aber zu Fall kam, als der Dynamo-Verteidiger ihm unabsichtlich in die Hacken trat. Das war eine torgefährliche Szene. Den fälligen Freistoß donnerte der Zeitzer Sturmführer selbst in die Abwehrmauer. Doch die zweite Halbzeit brachte dann die Entscheidung zugunsten der technisch klar besseren Mannschaft. Es war oft zum Haareausraufen, wie oft die Zeitzer Stürmer ins Abseits liefen. Dynamos Abwehr stand fast ausschließlich in der Nähe der Mittellinie. Und als Poklitar 12 Minuten nach der Halbzeit der Führungstreffer gelungen war, da spielte nur noch eine Mannschaft: der SC Dynamo.

Jetzt sahen wir (endlich) auch einmal die vollen Qualitäten eines Waldemar Mühlbächer, wenn er offensiv auftrumpft. Er hatte einige prachtvolle Szenen, demonstrierte einige Male effektvolles, direktes und auch verdecktes Abspiel, köpfte eine Ecke an die Latte und kurbelte ununterbrochen an, voll unterstützt von Herbert Maschke. Jetzt konnten die Tore nur noch eine Frage der Zeit sein. Und jetzt zeigte sich, daß Dynamo wesentlich konditionsstärker auftrumpfte als der Gegner, den die lange Serie mangels technischer Fertigkeiten doch zuviel Kraft gekostet hat. Hofmann und Poklitar schossen die weiteren Treffer, und Zeitz hatte sehr viel Glück, noch so glimpflich davongekommen zu sein. Erstaunlich aber auch wieder in diesem Spiel der Aktionsradius von Günter Schröter, der ein konstruktives und mit technischen Kabinettstückchen gespicktes Spiel hinlegte, wobei ihn "Pitty" Bley sehr stark unterstützte.

Dieses Spiel der zweiten Halbzeit imponierte auch den westdeutschen Oberligaspielern von Werder Bremen, die es sich nicht nehmen ließen, dem letzten Punktekampf unserer Oberliga im Walter-Ulbricht-Stadion beizuwohnen. Zeitz braucht den Kopf nicht hängen zu lassen. In der Reserve und auch in der 1. Mannschaft sahen wir viele junge talentierte Spieler, von denen uns Finger ganz besonders gut gefiel. Dem SC Dynamo, seiner Oberligamannschaft mit allen ihren Betreuern gilt unser herzlicher Glückwunsch zur Vizemeisterschaft 1960, die nach einem so schwachen und auch unglückseligen Start in der ersten Serie in 17 ungeschlagenen Punktspielen verdient errungen wurde und beweist, daß der Berliner Club mit seiner Mannschaft gut gearbeitet hat.

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Dorner, Heine, Skaba; Maschke, Mühlbächer; Hofmann, Schröter, Poklitar; Bley, Klingbiel (77. Gadow)
BSG Chemie Zeitz:
Ernst; Fischer; Landmann, Nicodemus; Ehlert, Handt; Rößiger (66. Krontal), Pacholski, Bauchspieß, Willms, Finger

1:0 Poklitar             (57.)
2:0 Hofmann              (65.)
3:0 Poklitar             (89.)

Schiedsrichter:          Köhler (Leipzig)
Zuschauer:               4.000

Herrmann Gehne, Neue Fußballwoche, 29.11.1960