06. Spieltag 1960: SC Dynamo Berlin - ASK Vorwärts Berlin 1:3

Nach der Pause das Spiel klar beherrscht! / Ohne sich restlos auszugeben, dominierte der ASK auch im Lokalderby
Auch der Ortsrivale stoppte des Spitzenreiters Siegeslauf nicht! Gewiß, wir notieren von ihm nicht jene überzeugende Leistung wie im Mittwochtreffen gegen den SC Empor. Aber: Nach recht unbefriedigendem Verlauf der 1. Halbzeit sahen wir in zahlreichen Momenten den "echten" ASK: selbstsicher aufspielend, den Gegner im Tempo seiner Kombinationen allmählich zur Resignation zwingend. Und wir sahen dabei ebenfalls, daß nicht einmal sämtliche Kräfte herausgefordert werden mußten. um die Aufgabe zu lösen. Einsatzbereitschaft und die Moral, gegen den Tabellenführer gut zu bestehen, genügten auf die Dauer nicht. Wir möchten es unserem Urteil vorausschicken. Noch niemals vorher distanzierte der ASK Vorwärts seinen Berliner Gegenspieler so einwandfrei wie diesmal.

Nein, nicht in der Folge der Tore oder im Resultat, das ja schließlich auch eine klare Differenz aufzuweisen hat. Vielmehr im Verhältnis des spielerischen Rhythmus, in der Möglichkeit der Variation. In dieser Beziehung erlebten wir einen krassen Unterschied. Selbst eingedenk dessen, daß der ASK in vielen Phasen Schwächen in seinem Spiel hatte. Zum Beispiel: Der Spitzenreiter benötigte lange, um den mannschaftlichen Zusammenhalt zu finden und in altgewohnter Weise zügig zu kombinieren. Vielleicht ist jener Hinweis nicht von der Hand zu weisen. daß letztlich eine frühzeitige Verletzung von Kiupel und seine Herausnahme schon in der 19. Minute schockierend einwirken. Wir akzeptieren das. Doch wir hätten trotzdem in dieser ersten Hälfte mehr Kombinationen erwarten müssen. Vielleicht haben die sicheren Siege im Verlauf der bisherigen Meisterschaftskämpfe dazu beigetragen, das Gefühl der Sicherheit übermäßig zu betonen.

Wie anders könnte man sich sonst die verschiedenen Mängel im ASK-Spiel erklären? Denken wir doch dabei besonders an die zahlreichen Stellungsfehler Kalinkes in der 1. Halbzeit. Wie oft erhielt sein schneller und zügig aufspielender Gegenspieler Quest die Gelegenheit, sich nach weiten Querpässen vom Mann zu lösen, weil dieser in höchst unglücklicher Position auf den Moment des Zugriffs lauerte. Der Dynamo-Linksaußen hätte gerade zu jener Zelt Sorge tragen können für eine Entscheidung zugunsten seiner Mannschaft. Vergessen wir das nicht, um sachgemäß einzuschätzen! Daß der SC Dynamo wenige Sekunden vor dem Abpfiff der ersten Halbzeit noch gleichzog und bei diesem Treffer auch verständnisvolles Erkennen der Situation andeutete (Maschke brachte seinen Mittelstürmer Thiemann mit einem weiten Paßball in günstige Lage), bestätigte das nahezu verteilte Kräfteverhältnis während dieser Zeitspanne.

Es war jedoch schon hier abzusehen, daß Dynamo mit fortschreitender Zeit Tribut zollen würde. Im Lager des ASK befürchtete man vor Beginn des Spieles, eine geballte gegnerische Leistung vorzufinden. Auch wir glaubten, gerade in dieser lokalen Begegnung würde sich der SC Dynamo nach vielen kaum befriedigenden Partien aufraffen zu ernsthaftem, erfolgreichem Widerstand. Daraus wurde nichts. Nur wenige Male erhielt das Angriffsspiel tatsächlich Linie, zu selten kamen aus der Läuferreihe heraus weite Schläge, die vor allem den schnellen Quest zum Lauf hätten herausfordern müssen. Wenn auch Klingbiel und Bley, zwei der bewährten Angreifer, wegen Verletzung nicht einsatzfähig waren, so hätte man doch auch ohne ihr Mitwirken mehr Verständnis und geistige Beweglichkeit erwarten müssen. Besonders daran krankte es, und das stellte den Unterschied zum Spiel des ASK her.

Nach wie vor zählt die Abwehr des SC Dynamo zu den stärksten aller Oberligaclubs. Doch: Wie lauge vermag sie sich schließlich zu behaupten, wenn es an wirkungsvoller Entlastung durch den Sturm fehlt, wenn auf die Dauer eben doch die Fähigkeiten nicht ausreichen für ein torgefährliches Angriffsspiel? Wir erlebten von Dorner, Heine und Skaba Beispiele großartiger Einsatzstärke. In mancher Szene bewunderten wir Skabas nie erlahmenden Eifer gegen Wirth, seine Hartnäckigkeit im oftmals erfolgreichen Zerstören. Und gleichermaßen imponierte uns, wie kraftvoll sich Heine und Vogt auseinandersetzten und wie der Mittelverteidiger dabei mit bewundernswerter Spurtkraft vielfach das letzte aus sich herausholte und seinen quirligen Widersacher in die Schranken zu weisen versuchte.

Aber im Verlauf der 2. Halbzeit und unter dem Druck der gegnerischen Kombinationen, den unaufhörlichen und schnellen Positionswechseln verlor auch das Schlußdreieck immer mehr von seiner Standfestigkeit, entblößte es sich mehr als einmal (Heine!) und bewies letztlich bei den vielen unkontrolliert geschlagenen Bällen, wie sehr man gegen den ASK-Sturm seine Kräfte hatte aufbrauchen müssen. Und noch etwas imponierte uns beim Unterlegenen: Der Wille, niemals aufzustecken. Wie anders könnte man sich sonst erklären, daß Dynamo trotz seiner untergeordneten Rolle im Feldspiel noch verschiedene gute Chancen erzwang, den ausgezeichneten Spickenagel dabei zu schnellster Reaktion herausfordernd. Insbesondere Poklitar, nach seinem Tausch mit Mühlbächer recht forsch davonziehend, zwang den Vorwärts-Schlußmann zweimal zur Parade. Das hätte durchaus zu einer Verkürzung des Resultats führen können!

Doch darin bestand auch ein Unterschied: Die Chancen wie auch die drei ASK-Tore waren mustergültig herausgespielt, keinesfalls sporadisch entstanden oder gar glücklichen Umständen zuzuschreiben. Kohles Treffer in den rechten Dreiangel imponierte dabei gleichermaßen wie die Führung durch Meyer mit Hackentrick, dem von der rechten Seite ein wohlgezielter Flankenball vorausging (Schiedsrichter Köhler: "Kein Abseits, Meyer lief von hinten heraus in den Strafraum!") Und nicht minder eindrucksvoll war Tor Nummer 3, seinen Ausgangspunkt findend beim kraftvollen Riese. Den von Kaulmann zugeleiteten Ball nahm Meyer im Lauf mit und vollendete maßgerecht. Diese Tore kennzeichnen das Spiel den ASK in der 2. Halbzeit!

SC Dynamo Berlin:
Marquardt (31. Klemm); Dorner, Heine, Skaba; Maschke, Mühlbächer (53. Poklitar); Hofmann, Schröter,  Thiemann, Schäffner, Quest
ASK Vorwärts Berlin:
Spickenagel; Kalinke, Kiupel (19. Kaulmann), Krampe; Unger, Reichelt; Wirth, Riese, Vogt, Meyer, Kohle

0:1 Meyer              (24.)
1:1 Hofmann            (43.)
1:2 Kohle              (47.)
1:3 Meyer              (63.)

Schiedsrichter:        Köhler (Leipzig)
Zuschauer:             10.000

Dieter Buchspieß, Neue Fußballwoche, 10.05.1960