04. Spieltag 1960: SC Dynamo Berlin - SC Aufbau Magdeburg 2:4

Herzerfrischende Magdeburger Brise / Hirschmann, der umsichtige Regisseur einer prächtigen Gästeelf
Bravo SC Aufbau! Die 7.000 Berliner werden sicherlich mit dem Chronisten übereinstimmen, wenn wir dieses Lob gleich vorwegnehmen. Sicherlich, diese Art zu spielen und zu kämpfen kostet Kraft, man spürte das über Strecken in der zweiten Spielhälfte, aber die Magdeburger Mannschaft ist ja noch jung, und sie hat eine gute Kondition, das zeigte sich wiederum auch in der Schlußphase dieses wirklich herzerfrischenden Kampfes. Besonders imponierte die gradlinige Art des Magdeburger Spieles, der Verzicht auf jeden Schnörkel, das Sichanbieten jedes Spielers in jeder Situation, die schnelle Umschaltung auf Steilspiel, die eminent antrittsschnellen Flügelzangen (aber Stöcker hielt oft den Ball zu lange), das energievolle Spiel des jungen Walter in der Sturmmitte, der Heine überaus stark beschäftigte und - über allem thronend und die Fäden in der Hand haltend - die kluge Regieführung Hirschmanns aus dem Mittelfeld heraus.

Er war der Motor, die Persönlichkeit des Aufbau-Spieles, der Mann mit dem klaren Blick, der wirklich überragende Spieler des Feldes. Und was für herrliche Tore schossen die Gäste, wie kaltblütig wuchtete Eckardt aus 18 Metern den ersten Treffer flach und unerreichbar für Klemm in die lange Ecke. Wie schnell wurde beim zweiten Treffer des gleichen Spielers, wie effektvoll direkt wurde dabei kombiniert. Auch Walters drittes Magdeburger Tor war bezeichnend für die ganze Spielart, weil der Mittelstürmer eben jedem Ball nachsetzte. Heine prallte ein Schuß außerhalb des Strafraumes an die Hand, er zögerte, Schneider sah(richtig!) keine Absicht. Heine zögerte unverständlich, wartete vielleicht auf den Pfiff. Walter kümmerte sich um nichts, spurtete am Nationalstopper vorbei und schoß unhaltbar ein.

Und dann noch dieser prachtvolle vierte Treffer des pfeilschnellen Rechtsaußen Schmidt, der aus halbrechter Position (!), nachdem er rechts das Leder geführt hatte, wuchtig mit dem linken Bein am herausstürzenden Klemm vorbei einschoß, nachdem er nach einem Paß Dzials die Abwehr Dynamos einfach stehenließ. Doch da ich schon einmal bei den Toren bin: Dynamos erster Treffer war eine prachtvolle Einzelleistung des bei Halbzeit verletzt ausgeschiedenen Mühlbächer, der einen Schröter-Freistoß, alle überspringend, wuchtig und überlegt reinköpfte. Dynamos zweiter Treffer war ebenfalls ein Kopfballtor. Hofmann verwandelte eine Flanke Klingbiels. Doch zurück zur Kritik: Am vergangenen Punktspielsonntag gelang den Magdeburgern zu Hause gegen Fortschritt sicherlich deshalb kein voller Erfolg, weil die Abwehr brüchig war.

In Berlin war das nicht der Fall, obwohl der Sturm sicherlich den stärkeren Eindruck hinterließ. Dabei sind beide Außenläufer zumindest in der konstruktiven Wirkung auf das Spiel nicht überraschend in Erscheinung getreten. Sie waren fast ausschließlich Zerstörer, und die Rolle des aufbauenden Mannes (wie geschildert) übernahm fast ausschließlich Kapitän Hirschmann. Wenn diese Magdeburger Mannschaft nicht für ihre kräftezehrende Spielart Tribut zahlen muß, wenn sie der Entwicklung der individuellen Technik noch mehr Augenmerk zuwendet, sie aber weiterhin in den Dienst des schnellen Direktspiels stellt, dann können wir vom SC Aufbau noch allerlei erwarten. Dabei sah Dynamo in der zweien Halbzeit zumindest über Strecken gar nicht schlecht aus. Die Mannschaft wollte auftrumpfen, das merkte man.

Aber es lief bei ihr, vor allen Dingen im Sturm, nicht alles planmäßig ineinander. Da ist keine Harmonie drin, kein rechtes Verstehen, kein rechtzeitiges Erkennen des freien Mannes oder Raumes. Als dann Schröter für den verletzt ausgeschiedenen Mühlbächer Läufer spielte, war dieser Sturm nur noch ein Lüftchen. Und geradezu kläglich wurden zuvor einige faustdicke Chancen vertan. Moppel Schröter war noch der einzige, der beherzt schoß, wenn man von den beiden Lattenschüssen absieht. Dazu ist das Spiel des Pokalsiegers zu umständlich, zu lange wird der Ball gehalten, zu viel wird zurückgespielt. Und selbst die Abwehr spielte nicht klar und gradlinig genug. Da dirigierte keiner, befreite niemand mit konstruktiven klaren Schlägen. Auf Dynamo trifft die alte Fußballweisheit zu: Elf gute Spieler sind noch lange keine Mannschaft!

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Dorner, Heine, Skaba; Maschke, Mühlbächer (46. Poklitar); Quest, Bley, Klingbiel, Hofmann, Schröter
SC Aufbau Magdeburg:
Michalak; Lehmann, Reidock, Müller; Kubisch, Weimann; Schmidt, Eckhardt (73. Dzial), Walter, Hirschmann, Stöcker

0:1 Eckardt            ( 7.)
0:2 Eckardt            (15.)
1:2 Mühlbächer         (21.)
1:3 Walter             (33.)
1:4 Schmidt            (86.)
2:4 Hofmann            (87.)

Schiedsrichter:        Schneider (Forst)
Zuschauer:             7.000

Hermann Gehne, Neue Fußballwoche, 12.04.1960