02. Spieltag 1960: SC Dynamo Berlin - SC Aktivist Brieske-Senftenberg 0:0

Es gab keine Achillesferse / "Aushilfsverteidiger" Franke ließ sich von schwachen Dynamo-Stürmern nicht überrennen
Als in der 20. Minute Brieskes Verteidiger Matachack verletzt vom Platz humpeln mußte und für ihn Franke nach hinten ging, gab es nicht wenige, die hier einen neuralgischen Punkt sahen, der sich für die Gäste eventuell verhängnisvoll auswirken könnte. Gewiß, Franke ist ein alter Routinier. Aber war er nicht bereits zu alt, vor allem nicht mehr schnell genug, als daß ihm die schnellen und weitaus jüngeren Dynamo-Stürmer vor unlösbare Aufgaben stellen könnten? Fast mußte man annehmen, daß sich die Berliner auf den Schlachtruf "Alles über den rechten Flügel spielen!" geeinigt hätten. Einige Male wurde Franke in schnellen Direktkombinationen überlaufen. Wäre dies so weitergegangen, wer weiß, ob der Briesker durchgehalten hätte.

Aber es gab in diesem Spiel schließlich noch mehr Faktoren, die seinen Verlauf bestimmten. Es waren Momente, die nicht gerade zugunsten der Berliner waren. zum Beispiel schossen sie erbärmlich schlecht. Kopfschüttelnd mußte man die "Himmelsreise" vieler Schüsse verfolgen. Die beste Tat in puncto Schießen vollbrachte Schröter mit einem plötzlichen Schuß aus 20 Metern. Von der Latte prallte das Leder zurück. Klingbiel wollte aus vollem Lauf zum Nachschuß ansetzen, fand aber nur die Richtung zur Eckfahne. In dieser Art wurden mehrere Chancen in der ersten Halbzeit vergeben. Vielleicht hat man darüber vergessen, weiter den Weg auf der rechten Seite zu suchen. Für die Briesker zumindest mag die Erfolglosigkeit des Dynamo-Sturms so etwas wie eine Aufforderung zum Handeln gewesen sein.

Wahrhaftig, es war ja sogar möglich, diese Dynamo-Elf auf eigenem Platz in Bedrängnis zu bringen! Und die Gäste ließen sich auch nicht aus dem Konzept bringen, als sie nach Halbzeit das zweite Mißgeschick ereilte: Gentsch erlitt eine stark blutende Augenbrauenverletzung. Er mußte sich nach seiner Rückkehr auf das Spielfeld ebenso wie der auf Außenposten nicht etatmäßige Schulz an den Flügel begeben. Es verlangt den Brieskern unbedingt Achtung ab, daß dennoch durch Marquardt, Redlich und Lemanczyk die Dynamo-Abwehr so reichlich in Unruhe versetzt werden konnte, daß einfach alle so offensichtlichen Vorteile der Berliner ohne Auswirkung blieben. Mehr noch, die Abwehr der Briesker festigte sich in dem Maße, in dem die Berliner Mannschaft mehr und mehr nervös wurde, ungenau abspielte und zum Beispiel bei der Ballannahme arge technische Mängel hervortreten ließ.

Durch geschicktes Stellungsspiel und großen Einsatz verurteilte man die Berliner Sturmreihe beinahe zur Harmlosigkeit, und was keiner erwartet hatte: Franke hatte sogar noch Kraft und Zeit, sich dem Aufbau seines eigenen Mannschaftsspiels zu widmen! Man spürte zwar, wie Schröter in der letzten Phase energisch versuchte, dem Spiel seiner Mannschaft wieder Linie zu verleihen. Unermüdlich schleppte er die Bälle nach vorn, doch da war es bereits zu spät. Brieske hatte reichlich Oberwasser erhalten. Auf ihre routinierte Abwehr gestützt, gelang es ihnen in der letzten Viertelstunde, ein Übergewicht zu erzielen. Eine ganze Serie von Eckbällen kam dabei auf ihr Konto. Dynamo mußte selbst noch um den einen verbliebenen Punkt bangen.

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Dorner, Heine, Skaba; Maschke, Mühlbächer; Quest, Bley, Klingbiel (60. Poklitar), Fröhlich, Schröter
SC Aktivist Brieske-Senftenberg:
Jünemann; Krüger, Ratsch, Matschack (20. Schulz); Gentsch, Lehmann; Natuscit, Lemanczyk, Marquardt, Franke, Redlich

Schiedsrichter:        Kunze (Karl-Marx-Stadt)
Zuschauer:             5.000

Götz Hering, Neue Fußballwoche, 29.03.1960