20. Spieltag 1959: SC Dynamo Berlin - ASK Vorwärts Berlin 1:2

Der Meister hafte Am langem Arm / Zwei prächtige Freistoßtore
In diesem Derby wurde keinem etwas geschenkt. Es war ein hartes, zeitweise sehr temporeiches Spiel mit vielen Höhepunkten, aber nicht von reicher Klasse in Kombinationsfolgen und Ideenreichtum. Dazu wurde zu erbittert gekämpft, zu genau markiert. Doch der Sieg des Meisters ist verdient, weil der ASK Vorwärts die bessere Kondition und die ausgeprägtere Technik in der Schlußphase entscheidend ausspielen konnte. Aber der Meister ist abgeklärter, sachlicher geworden, er hat gelernt, den Gegner kommen zu lassen, um das Spiel weiträumiger zu machen, seine dominierende Technik auszuspielen. Das war das entscheidende Merkmal des Berliner Derbys, das war die Trumpfkarte, die auch gegen Dynamo stach, nachdem Wismut im gleichen Stil geschlagen und die Tabellenspitze erobert und nun auch verteidigt wurde. Dabei übersahen wir nicht, daß in der ASK-Abwehr oft leichtfertig gedribbelt wurde, oft gar Bälle in den Gefahrenpunkt (Krampe!) geköpft wurden, anstatt nach außen.

Wir erkannten auch, daß es einmal mehr nicht die Läufer waren, von denen die meisten Angriffe ausgingen, sondern Lothar Meyer, der seine beständige Form durch ein konstruktives Mittelfeldspiel unterstrich, der immer mehr gelernt hat, seine brillante Technik ganz in den Dienst des Kollektivspiels zu stellen. Und wieder überraschte Harald Seeger mit einer taktischen Sturmvariante. Er ließ Nöldner absolute Mittelstürmerspitze spielen, sicherlich um Heine stark zu beschäftigen. Das gelang. Meyer und auch Kohle bekamen dadurch mehr Raum, und Nöldner, diesmal nicht in allerbester Verfassung, wurde dann nach seiner Auswechslung durch Kiese vollwertig vertreten, weil Vogt sich immer stärker und eindrucksvoller als Sturmspitze einschaltete. Die dramatischen Szenen ereigneten sich um die beiden Treffer der ersten Halbzeit herum.

Vorwärts' Spiel lief auf vollen Touren, als Wachtel in der 30. Minute eine maßgerechte Flanke von links hereinhob (aber wo waren Dynamos Abwehrspieler im Deckungszentrum? Wenn Heine schon rausgeht, muß doch der zweite Mann dastehen!), die Meyer prompt und entschlossen verwandelte. Aber bereits zwei Minuten später zirkelte Moppel Schröter in wunderbarer Schußtechnik einen 18-Meter-Freistoß über die Vorwärts-Mauer in die linke Ecke - unhaltbar für Spickenagel. Dieses Tor brachte noch mehr Paprika ins Spiel, und als Kiupel in der 53. Minute nach einem Mühlbächer-Foul an Meyer einen Freistoß aus gut 25 Metern unter die Latte knallte (Marquardt stand nach unserer Meinung falsch!), ahnte keiner der 18.000, daß das bereits die Entscheidung war.

Zwar bäumte sich Dynamo nochmals auf, aber die Vorwärts-Abwehr zeigte jetzt durch ihr sicheres Spiel die Schwächen der Volkspolizisten auf, das zu schwache, zu umständliche Operieren des Sturmes, in dem die Außen Quest und Hoffmann viel zu durchsichtig operierten, um Außenverteidiger von der Klasse Kalinkes und Krampes vor nicht lösbare Rätsel zu stellen. Auch Dynamos Läufer erreichten nicht die Wirkung, die nötig gewesen wäre, dem Spiel eine Wendung zu geben. Die reine Balltechnik, der kluge Blick in die Tiefe vor dem Abspiel, das sind Dinge, die sie zu wenig beherrschen. Die Abwehr Dynamos stand gut, wurde dazu stark beschäftigt von einem Sturm, der wesentlich mehr rochierte als der eigene Angriff. Souverän, mit sicherem Blick und sachlicher Gestik: Schiedsrichter Bergmann, der sich in keiner Situation das Spiel aus der Hand nehmen ließ. Die Reserven trennten sich 1:1. Ein erfreulicher Nachsatz: Freundschaftlich vereinten sich beide Mannschaften nach dem Spiel im Sportkasino. Dieses Beispiel, das die beiden Berliner Clubs erstmalig gaben, sollte Schule machen.

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Dorner, Heine, Skaba; Maschke, Mühlbächer; Hoffmann, Bley, Schaffner, Schröter, Quest
ASK Vorwärts Berlin:
Spickenagel; Kalinke, Kiupel, Krampe; Unger, Reichelt; Vogt, Meyer, Nöldner (57. Riese), Kohle, Wachtel

0:1 Meyer              (30.)
1:1 Schröter           (32.)
1:2 Kiupel             (53.)

Schiedsrichter:        Bergmann (Hildburghausen)
Zuschauer:             18.000


Hermann Gehne, Neue Fußballwoche, 20.10.1959