26. Spieltag 1958: BSG Rotation Babelsberg - SC Dynamo Berlin 1:1

Heine hielt gesamten Innensturm in Schach
In Babelsberg gab es auf dem traditionsreichen Karl-Liebknecht-Sportplatz das Abschiedsspiel von Rotation aus der Oberliga. Zehn Jahre gehörten die Berliner Vorstädter zu unserer höchsten Spielklasse. Jetzt müssen sie den bitteren Weg des Abstiegs, wie so viele vor ihnen, auskosten. Wer hätte das am Anfang der Saison geglaubt? Ich sah die Mannschaft im ersten Spiel der Saison gegen den SC Wismut. Damals erlebte ich eine Elf, die unserem derzeitigen Ex-Meister in kämpferischer Explosivität und auch spielerisch gleichwertig war. 1:1 endete damals dieser Meisterschaftsauftakt. Heute stand es gegen den SC Dynamo am Schluß ebenfalls 1:1. Aber welch ein Unterschied!

Die Babelsberger und die Berliner zeigten nur in der ersten halben Stunde ansprechendes Niveau. Was dann kam, war herzzerreißend. Die Babelsberger Stürmer, die großartig begannen, wurden im Laufe des Spieles immer harmloser. Sie besaßen vor allem in der zweiten Halbzeit nicht mehr die physische Kraft, um die Dynamo-Abwehr aus den Angeln zu heben. Zweifellos sind Reiß, Aldermann, Boklitar, Dreßler und auch die beiden Läufer Walkowiak und Müller Fußballtalente, aber sie müssen schon noch einiges hinzulernen, um das Fußball-ABC zu beherrschen. Lernen werden sie es schon, aber nur dann, wenn sie nicht überheblich werden.

Obwohl der SC Dynamo außer Schröter keine überragenden Stürmer besaß: in der Spielauffassung und in der Abwehr waren die Gäste die überlegene Elf. Geschickt, wie Maschke und Schröter als Umschaltstation im Mittelfeld herrschten. Diese Tatsache war besonders für die spielerische Überlegenheit der Dynamos in der zweiten Halbzeit ausschlaggebend. Mittelverteidiger Heine wurde, je länger das Spiel andauerte, zur überragenden Spielerpersönlichkeit auf dem Feld. Seine Schnelligkeit und sein überlegtes Spiel in den brenzligsten Situationen atmeten Klasse. Er hielt oft den gesamten Babelsberger Innensturm in Schach. Das war auch dringend notwendig, denn der Mühlbächer-Ersatz, Thiemann, überzeugte als Läufer keinesfalls.

Die Babelsberger Abwehr scheint dagegen im Augenblick die Achillesferse der Rotationer zu sein. Beide Außenverteidiger sind zu langsam geworden, und Pillau ist nun einmal nicht der gewünschte Mittelverteidiger. Die beiden jungen Läufer werden aber ihren Weg machen. Hier wächst für Rotation ein Tandem heran, das sie in den vergangenen zwei Jahren so, vermißten. Ich ging nach dieser Begegnung von dieser Stätte, an der ich selbst lange Jahre Sonntag für Sonntag spielte. Ich frage mich: Warum muß diese Elf absteigen?

Die Antwort gab mir anschließend in einem Gespräch Babelsbergs Rotationsleiter "Schupo" Tietz. "Wir haben im vergangenen Jahr den großen Fehler begangen, unsere Jugend zu überschätzen. Wir glaubten, aus dem eigenen Gewächs die Klasse zu erhalten. Viele Verletzungen, Krankheiten und die großen Formschwankungen von Aldermann, Dreßler, Noske usw. machten uns aber einen großen Strich durch die Rechnung. Es wäre andererseits aber auch nach Abschluß der Saison 1957 vorteilhaft gewesen, wenn uns die verantwortlichen Stellen des Bezirks Potsdam so unterstützt hätten, wie es heute der Fall ist. Ich glaube, wir würden heute anders dastehen."

BSG Rotation Babelsberg:
Noske; Harbolla, Pillau, Jeronymus; Müller, Walkowiak; Reiß (ab 89. Renn), Aldermann, Boklitar, Schöne; Dreßler
SC Dynamo Berlin:
Klemm (88. Hindenberg); Michael, Heine, Schneider, Maschke, Thiemann; Bley, Schäffner, Dorner, Schröter, Nippert

1:0 Aldermann          (14.)
1:1 Schäffner          (37.)

Schiedsrichter:        Müller (Kriebitsch)
Zuschauer:             5.500

Hans Wolfrum, Neue Fußballwoche, 25.11.1958