10. Spieltag 1958: SC Rotation Leipzig - SC Dynamo Berlin 4:1

Das war zuviel: In drei Minuten zwei Tore
Prächtiges Sonnenwetter, eine wohlgelungene leichtathletische (Clubdreikampf Rotation - Lok - 1. FC Nürnberg) und radsportliche (Leipzigs Friedensfahrt-Idol Egon Adler wurde geehrt) Rahmenveranstaltung und eine stimmungsfrohe Zuschauerkulisse im Bruno-Plache-Stadion sorgten dafür, daß wirklich viele Voraussetzungen gegeben waren, den Kampf um die Führung in unserer Oberliga zu einem sportlichen Großereignis werden zu lassen. Es ist klar und oft genug auch schon dagewesen: Solche besonders harten Nervenproben wirken sich mitunter hemmend auf den Spielfluß aus. Das mag mit ein Grund gewesen sein, daß der Spielrhythmus bei Dynamo nicht so ins Schwingen kam, wie es auf Grund des Höhenfluges dieser Elf während der letzten Wochen wohl erwartet worden war.

Entscheidender aber gaben die taktischen Fehler den negativen Ausschlag, die in der Deckung vor allem von Mühlbächer und Maschke begangen wurden. Bei allem lobenswerten Offensivdrang durften sie selbstverständlich auch die Deckungsaufgaben, sobald es die Spielsituation erforderte, nicht vergessen. Solche Pannen jedoch passierten mehrfach, und der erfreulich konsequent über die weiten Flügelräume anmarschierende Leipziger Angriff konnte dann von den schon zahlenmäßig unterlegenen drei Verteidigern oft genug nur mit letztem Einsatz oder auch gar nicht gebremst werden. Trainer Studener hatte diesmal mit Seifert und Alt wieder alle Mann an Deck.

Nur mit Siegfried Fettke, der monatelang wegen Verletzung und Krankheit ausgefallen war, jetzt aber wieder fit ist, ging er verständlicherweise kein Risiko ein und ließ ihn zunächst einmal in der Reserve mitwirken. Gerade als Dynamo einigermaßen in Tritt gekommen war, als Schröter mit überaus kluger Ballführung im Mittelfeld seine Kreise zu ziehen begann, eine Nippert-Flanke die erste Gefahr heraufbeschwor und der wirbelige Bley mancherlei Unruhe in der gegnerischen Abwehr verursachte, da gab es den ersten Schock - aber für die Berliner! Weigel, abermals der unermüdliche Ballschlepper, dem keine Arbeit zuviel ist, wenn es ihm auch nicht immer gelingt, seinem Angriffsspiel Zuschnitt und Form zu geben, eben dieser Roland Weigel hatte Marquardt zum ersten Male überwunden.

Er war die letzte Station einer sehenswerten Kombinationskette gewesen, die bei Seifert ihren Ausgang genommen hatte und desweiteren über Alt und Weidenbörner lief. Schon drei Minuten später gab es den nächsten Kurzschluß in den Nervenkontakten der Berliner. Dabei hatte Läufer Bauer, fast alle 90 Minuten hindurch von hoher Wirkung, weit vorprallend vom rechten Flügel hereingeflankt, und mit einem Hackentrick setzte Roland Weigel die gesamte Dynamo-Abwehr schachmatt! Ergo hatte Seifert freie Schußbahn, und das 2:0 war fertig. Das mag insgesamt doch recht nachhaltig an der spielerischen Motal der Gäste gerüttelt haben!

Daran konnte auch der einzige Gegentreffer, den Matzen sieben Minuten später markierte, nicht mehr allzuviel ändern, hatte er doch seine eigentliche Ursache in einem der relativ wenigen Fehler, die in diesem Spiel von der Rotation-Hintermannschaft verzapft wurden. Beide Clubs mußten mit Beginn der zweiten Halbzeit ihre Auswechsel-Feldspieler einsetzen, da sowohl Weidenbörner als auch Schäffner wegen Verletzung ausfielen. Schäffners böse Platzwunde an der rechten Kopfseite mußte sogar im Krankenhaus genäht werden. Rotations frischer Mann Harmuth sorgte sehr schnell für das 3:1, einen der klugen Paßbälle Seiferts verwertend, und damit war eine etwaige Wende zugunsten Dynamos restlos in den Hintergrund gerückt.

Daran konnten auch zwei Gewaltschüsse Matzens und ein Scharfschuß Schröters nichts mehr ändern. Sie fanden in Wolfgang Pröhl den rechten Mann am rechten Platz. Noch in der 85. Minute, als der Routineflügel Schröter-Matzen mit schnellem Steilspiel seine sonstige Wirksamkeit ahnen ließ, fing Pröhl die abschließende Hochflanke des Linksaußen wohlüberlegt ab. Trainer Bachmann: "Rotation war in der Gesamtheit wesentlich einsatzstärker und kämpferischer und hat den Sieg auch klar verdient. In der ersten Halbzeit hat unsere Mannschaft noch verhältnismäßig gut gespielt, doch mußte unsere engere Abwehr ja einfach durcheinanderkommen, weil ihr jede Unterstützung von den Läufern fehlte. In drei Minuten zwei Tore verdauen zu müssen, das ist natürlich nicht einfach."

SC Rotation Leipzig:
Pröhl; Reichel, Scherbaum, Pfeufer; Bauer, Jahn; Engelhardt, Seifert; Weigel, Weidenbörner (46. Harmuth), Alt
SC Dynamo Berlin:
Marquardt (70. Klemm); Bock, Heine, Skaba; Maschke, Mühlbächer; Nippert, Schäffner (46. Basel); Bley, Schröter, Matzen

1:0 Weigel             (22.)
2:0 Seifert            (25.)
2:1 Matzen             (32.)
3:1 Harmuth            (58.)
4:1 Bauer              (89.)

Schiedsrichter:        Neumann (Forst)
Zuschauer:             15.000

Heinz Hofmann, Neue Fußballwoche, 03.06.1958