20. Spieltag 1957: SC Wissenschaft Halle - SC Dynamo Berlin 0:2

Am schwächsten gerade gegen den Stärksten
Wehmütig gingen die Gedanken des Chronisten bis zu jenem Mittwoch Anfang Juni im Walter-Ulbricht-Stadion zurück, wo er das Spiel der ersten Serie dieser beiden Mannschaften sah. Welche Klasse atmete jenes Spiel, wie sauber spielten die Halleschen Studenten bis auf den 20-Minuten-Wirbel Dynamos, dem sie damals erlagen! Es war ein unermeßlicher Abstand zwischen der Güte und Rasse des Kampfes damals und dem diesmal. Trainer Bachmann kam von sich aus, ohne daß wir das Thema anschnitten, zur gleichen Feststellung: "Damals in Berlin war Wissenschaft doch viel stärker!" Diese Feststellung ist voll gültig. Der Chronist hat Wissenschaft kaum je zuvor so schwach gesehen wie diesmal - ausgerechnet gegen den Stärksten waren die Studenten am schwächsten. Fast schien es auch, als flößte ihnen der Tabellenführer mit seinen beiden Nationalspielern zuviel Respekt ein, sie wurden jedenfalls die Hemmungen das ganze Spiel hindurch nicht los.

Dazu kam der Schock eines unvermeidbaren Tores schon in der 5. Minute. Dynamos Halbrechter war nach rechtsaußen ausgewichen, flach kam seine Eingabe - Ebert trat über den Ball, und hinter ihm stand Matzen in wenigen Metern Torentfernung und visierte seelenruhig die Ecke an, in die er das Leder schob. Damit hatte sich der Tabellenführer das Rückgrat gestärkt und der Wissenschaft-Elf das Gleichgewicht gestört. Die grünweiße Deckung wurde von den anstürmenden Berlinern hart beansprucht, zog sich aber noch am besten aus der Affäre. Von den beiden Läufern fand sich Kleine diesmal nie zu der Ruhe, mit der er sonst seine technische Brillanz anwendet. Und da auch die beiden Halbstürmer äußerst umständlich ihre Spielzeuge anlegten, war die Wirksamkeit des magischen Vierecks von Beginn an schwach.

Im Sturm spielte nach langer Pause erstmalig wieder Schmittinger. Mit dieser Maßnahme vermochten wir uns nicht anzufreunden. Schmittinger strahlte keine Gefährlichkeit aus, war nicht temperamentvoll und nicht explosiv genug, und da auch Böckelmann und Welzel weit unter sonstiger Form blieben, hatte das Wissenschaft-Angriffsspiel kein System. Nie zuvor wurde das Fehlen des eigentlichen Regisseurs, des erkrankten Hoffmann, so gespürt wie diesmal. Auch Dynamo schien uns nicht so stark wie damals. Aber es beherrschte den Gegner zu jeder Zeit sicher. Die Elf, diesen Eindruck wurde man nicht los, hätte sich gegen eine stärkere Wissenschaft-Elf wohl noch steigern können, und doch wäre sie verwundbar gewesen durch eine gegnerische Elf in sonstigem Stil und Spiel. Lange Spielabschnitte stürmte Dynamo mit sechs und sieben Angriffsspielern - sehr geschickt stießen Maschke und Mühlbächer energisch mit nach vorn, abwechselnd und oft im Tausch mit den dann etwas zurückhängenden Halbstürmern.

Die Überlegenheit in der Sauberkeit der Ballführung, der Präzision der Pässe, im Erkennen der Möglichkeiten für das Steilspiel und schließlich im kraftvollen plazierten Torschuß war deutlich und rechtfertigte jederzeit einen klaren Sieg. Mehrere Scharfschüsse Heines prallten gegen den Pfosten und gegen die Latte, einige drehte Meinel ausgezeichnet um den Pfosten. Seltsamerweise fiel aber auch das zweite Tor auf eine Weise, die man billig nennt. Meinel hatte - wie leider so oft - den Ball fehlerhaft abgeworfen, unmittelbar vor Moppl Schröters Füße, und Schröter hätte eben nicht Schröter sein müssen, um diese Chance nicht sofort zu erkennen. Über den einige Meter vor seiner Torlinie stehenden Meinel hinweg strich das kraftvoll geschossene Leder unter die Latte ins Tor.

SC Wissenschaft Halle:
Meinel; Ebert, Landmann, Herz; Schwerdtfeger, Kleine; Böckelmann, Blüsch (68. Strahl), May, Welzel, Schmittinger
SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael, Schoen, Skaba; Maschke, Mühlbächer; Heine, Schäffner, Legler, Schröter, Matzen

0:1 Matzen             ( 5.)
0:2 Schröter           (73.)

Schiedsrichter:        Neumann (Forst)
Zuschauer:             7.500

Werner Stück, Neue Fußballwoche, 15.10.1957