16. Spieltag 1957: BSG Stahl Stalinstadt - SC Dynamo Berlin 2:3

Schade, dreimal schade ... das war kein Spiel!
Es ist für einen Berichterstatter stets angenehm, Gutes über ein Fußballspiel zu schreiben. Man soll aber mit harter Kritik nicht sparsam sein, wo sie am Platze ist. Wohlan denn; in Stalinstadt war sie am Platze. Wenn man sich dem Fußball mit Haut und Haaren verschrieben hat, dann weiß man längst, daß dieser populärste Sport im Grunde genommen eine harte Angelegenheit ist und für Weichlinge in der letzten Konsequenz keinen Platz läßt. Gerade der männlich-ritterliche Einsatz des Oberkörpers hat dem Fußballsport herrliche Situationen geschenkt, an denen sich der objektive Zuschauer begeisterte. Leider hat die mit Spannung erwartete Begegnung auf dem mustergültigen Rasenteppich der Sportanlage der Hüttenwerker in Stalinstadt diesen harten, aber fairen Sport nicht gebracht. Man kann dem Spitzenreiter SC Dynamo nicht davon freisprechen, mit zahllosen Unsauberkeiten, die da sind gestrecktes Bein, Darüberhalten der Sohle, Stoßen mit dem Ellenbogen usw., einen erheblichen Anteil an diesem keineswegs ruhmvollen Kapitel zu tragen.

Die Entschuldigung, daß die Stalinstädter, in deren Reihen sich Verteidiger Junge zum Schluß wie ein Amokläufer gebärdete und Hofmann im Mittelfeld ohne Ball über den Haufen rannte, mit ihrem bedingungslosen Einsatz sie zu dieser Spielart förmlich gezwungen hätten, kann beim neutralen Beobachter nicht gelten. Um so mehr nicht, da einwandfrei erwiesen, daß Dynamo mit Beginn des unsauberen Spieles völlig die Linie verlor und von der 20. bis 45. Minute allem ähnelte - nur keinem Spitzenreiter der 1. Liga. Nach meiner Meinung hätten die ohne Zweifel überlegenen, spielerischen und, wie sich in der zweiten Halbzeit herausstellte, auch konditionellen Mittel sicher ausgereicht, auch unter Vermeidung jedes Zweikampfes dieses Spiel zu gewinnen. Man kann die Sturzverletzung von Heinze, die den Stalinstädter Spielmacher in der 25. Minute zum Ausscheiden zwang, und den Zusammenprall von Matzen und Händler mit folgender Knöchelverletzung des Stahl-Torhüters in der 75. Minute noch als beiderseits unverschuldete Unglücksfälle rechnen, wie sie in allen Spielen passieren können.

Aber alles andere, was beiderseits sonst noch geschah - Gott sei Dank fehlt hier der Platz zum Aufzählen -, war zu deutlich, um als ungewollt hingenommen werden zu können. Bei Dynamo-Verteidiger Skaba machte sich die fehlende Schlagsicherheit des linken Beines durch zahlreiche völlig unnötige Zusammenstöße mit dem Gegner bemerkbar. Maschke und Mühlbächer hatten 20 Minuten lang in der ersten Halbzeit anscheinend völlig den Kopf verloren. Höhepunkt ihres planlosen Umherirrens war, als sie sich gegenseitig kurz vor Halbzeit in halbrechter Sturmposition in der Ballannahme behinderten. Als Dynamo dann in der zweiten Halbzeit einigermaßen zum eigenen Stil zurückfand, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann Ausgleich und Siegestreffer fallen würden. Die Stalinstädter offenbarten in der ersten Halbzeit ihr Können.

Da blitzte die Gefährlichkeit des athletischen Mittelstürmers Jäger auf, der geschickt auf den rechten Flügel rochierte und von dort auch eine herrliche Flanke zum ersten Tor Tremels gab (Klemm stand zu weit vor dem Tor und konnte den hohen Kopfball des Ex-Zwickauers nicht mehr erwischen). Da sah man von den Rot-Grauen eine ganze Anzahl guter Paßzüge, die in Helmig, Müller, Heinze (später Schulze II) ihre Initiatoren und in Jäger und Nosahl ihre kreuzgefährlichen Sturmspitzen hatten. Ich weiß nicht, ob Schiedsrichter Wilde aus Halle in seiner Laufbahn schon jemals ein so unerfreuliches Spiel zu leiten hatte. Er hat es, o Wunder, ohne Herausstellung über die Runden gebracht. Dafür wird er aber kaum den Dank beider Teams erhalten. Vielleicht wäre die so schmerzlich vermißte Vernunft noch in das Spiel eingezogen, wenn beide Mannschaften nur mit zehn Mann den Kampf hätten beenden müssen. Erfreulich der Lichtblick "Moppel" Schröter! Er hielt sich aus allen unerquicklichen Szenen heraus und ging doch nicht unter. Schlußbilanz: Der wundervolle Rasenplatz in Stalinstadt hätte fürwahr ein besseres Spiel verdient!


BSG Stahl Stalinstadt:
Händler; Schwerdtner, Schulze I, Junge; Helmig, Petzold; Nosahl; Müller. Jäger, Heinze (25. Schulze II), Tremel
SC Dynamo Berlin
Klemm; Michael; Schoen, Skaba; Maschke, Mühlbächer; Hofmann, Schäffner (60. Heine), Legler; Schröter; Matzen

1:0 Tremel             ( 4.)
1:1 Legler             ( 6.)
2:1 Schulze I          (36., Handstrafstoß)
2:2 Legler             (61.)
2:3 Schröter           (80.)

Schiedsrichter:        Wilde (Halle)
Zuschauer:             5.500

Wolfgang Hempel, Neue Fußballwoche, 09.09.1957