14. Spieltag 1957: BSG Motor Dessau - SC Dynamo Berlin 1:5

Hindenberg vollbrachte große Taten
Zum ersten Male in dieser Saison verlor Motor Dessau auf eigenem Platz! Lange, lange Zeit in dieser auf hoher Stufe stehenden Spiels sah es gar nicht danach aus. Mit großem Elan, dem Willen, das Beste zu geben, begannen die Motor-Spieler. In der ersten Minute den ersten Einwurf, die erste Ecke, den ersten Schuß aufs Tor. Und weitere Ecken folgten in rascher Reihenfolge. Ein wenig mehr Glück bei der zweiten Stiller-Ecke (6.), und Böhme hätte per Kopf ins Schwarze getroffen. Er holte es nach (21.), aber da hatte Wangemann (16. und öfter noch) schon dem ausgezeichneten, strafraumsicheren Hindenberg alles abverlangt. Sekunden nach dem 1:0 war das 2:0 fällig, aber Stillers Bombenschuß in das rechte untere Eck tötete Hindenberg. Letzterer war es, der der etwas nonchalant beginnenden und dann nicht recht Fuß fassenden Dynamo-Elf Sicherheit und Rückgrat gab. Seine größten taten (38. - 45.) brachten ihm Sonderapplaus.

Dynamo pflegte das Kurzpaßspiel mit dem Schlüsselpunkt Schröter; aber dieser großartige Techniker kam vorerst nicht recht zum Zuge, weil sein Schatten Hoffmann ihm nicht behagte. Den wirkungsvollsten Stürmer auf dem Feld, Matzen, störte Eschke mit wechselndem Erfolg. Eines schaffte er jedoch, Matzen kam selten zu einem torversprechenden Schuß. Soweit sind Legler, Schäffner und Hoffmann bei allem Talent noch lange nicht, um gegen die in Hochform spielenden Mittelverteidiger Kossak und Linksverteidiger Böhme auf eigene Faust etwas ausrichten zu können. So kam Dynamo dank fast zu offensivem Spiel beider Läufer - und hier war Dynamo verwundbar - zwar zu einem eindrucksvollen Mittelfeldspiel, aber viele Torchancen waren vorerst nicht zu registrieren.

Da operierten die sich zwar vorsichtig nach rückwärts orientierenden, aber stets um Offensive bemühten Motor-Läufer , einschließlich Angelpunkt Wangemann, mit langen Pässen wirkungsvoller. Motor hatte in den ersten 45 Minuten 6:3 Chancen! Aber dieses Spiel in die Tiefe kostete viel, viel Kraft. Mag in dem Kräfteverschleiß eine der Ursachen zu suchen sein, warum Motor verlieren mußte? Zum Zusammenbruch kam es erst nach zwei vermeidbaren Toren, die Hindenberg sicher nicht passiert wären. Da stand Röschen (50.) zu weit vor dem Tor und kam an Matzens 30-Meter-Schuß aus halbrechter Position nicht heran. Sechs Minuten später blieb er bei einer Flanke wie angewurzelt auf der Torlinie stehen, und wiederum vollendete Matzen per Kopf aus sechs Metern mühelos.

Kersten und Stolze hatten nicht mehr die Nerven, den möglichen Ausgleich doch noch zu schaffen. Motor wurde zum Torso, und Dynamo zauberte nach Belieben. Den Rest gab ihnen schließlich der Unparteiische Vogel aus Karl-Marx-Stadt, der allzuviel Respekt vor großen Namen hatte, u. a. weder Matzens Handarbeit im Strafraum gegen Stolze (47.) noch einige Unsauberkeiten des hervorragendsten Spielers auf dem Platze, Schoen, ahndete. Diese für Ligaverhältnisse großartige Mannschaft hatte sie nicht nötig und will sie auch gar nicht, nämlich die Nachsicht. Trotz allem Unglück für Motor, die Zuschauer waren von ihrer großen ersten Halbzeit, dem schnellen, harten, aber fairen Spiel aller und dem später traumhaft laufenden Paß- und Stellungsspiel des SC Dynamo begeistert.

BSG Motor Dessau:
Röschen (76. Bobbe); Eschke, Kossak, Böhme; Hoffmann, Wilke; Start, Stiller, Kersten, Wangemann, Stolze (61. Köppe)
SC Dynamo Berlin:
Hindenberg; Michael, Schoen, Skaba; Mühlbächer, Maschke; Schäffner, Legler, Schröter, Hofmann, Matzen

1:0 Böhme              (21.)
1:1 Schröter           (28., Handstrafstoß)
1:2 Matzen             (50.)
1:3 Matzen             (56.)
1:4 Matzen             (76.)
1:5 Hoffmann           (82.)

Schiedsrichter:        Vogel (Karl-Marx-Stadt)
Zuschauer:             5.000

Siegfried Hoffmann, Neue Fußballwoche, 26.08.1957