05. Spieltag 1957: SC Dynamo Berlin - BSG Chemie Agfa Wolfen 2:1

Torwart Hindenberg geriet ins Schwitzen / Die Wolfener verstehen etwas vom Fußball-ABC / Unausgeglichene Berliner
Gleich das Erfreulichste vorweg: Die Gäste legten nicht das Hauptaugenmerk auf eine verstärkte Deckung oder gar auf ein betontes "Mauern", wie wir es gerade in Berlin in den vergangenen Wochen so häufig von den Gegnern des ASK Vorwärts oder des SC Dynamo sahen. "Es wird offensiv gespielt", meinte vorher der Wolfener Trainer Melzer. "Meine Elf vermag zu kombinieren, und das soll sie auch gegen Dynamo tun." Tatsächlich zeigte die Chemie-Mannschaft dann auch besonders im ersten Abschnitt und nochmals in der zweiten Hälfte, als Dynamo in Führung gegangen war, daß sie einiges vom Fußball-ABC versteht. Trotzdem wurde knapp verloren, aber die Niederlage gegen diesen gut renommierten Widersacher fiel höchst ehrenvoll aus. Wolfen brachte den Hausherren zeitweise ernstlich in Schwierigkeiten, und auch dem unverwüstlichen Dynamo-Schlußmann Hindenberg lief bei Spielende der Schweiß in Strömen über das Gesicht, so sehr war er noch zum Schluß beansprucht worden.

Die Berliner boten eine recht unausgeglichene Leistung. Oftmals glückten ihnen einige blendende Züge, zum anderen aber mißlangen ihnen die einfachsten Sachen. Vor allem Legler, aber auch Hänsicke, Heine und Schäffner sind in dieser Beziehung zu nennen. Als schon viele Zuschauer eine Auswechslung Leglers forderten (aber in welch pöbelhaftem Ton geschah das!), fielen ausgerechnet durch eine überlegte Aktion des Halblinken die Würfel zugunsten der Volkspolizei-Elf. Den freistehenden Heine erreicht in der 67. Minute eine Maßvorlage Leglers, der Rechtsaußen flankt unverzüglich, Chemie-Mannschaftskapitän Nohl springt hoch, von seinem Kopf fällt das Leder Hannes Matzen vor die Füße. Matzen schlägt noch einen Haken und befindet sich dann in ausgezeichneter Schußposition.

Mit rechts "feuert" er halbhoch aus etwa acht Metern unhaltbar ins Netz, während Hänsicke und Büchner I sich vergeblich nach dem Ball recken. Nicht minder sehenswert waren die übrigen beiden Treffer. Der Wolfener Rechtsaußen Stanzick nutzte eine sich ihm bietende Gelegenheit entschlossen und überwand Hindenberg mit prächtigem Schrägschuß. Auch das Kopfballtor Mühlbächers im Anschluß an eine Heine-Ecke war wie aus dem Lehrbuch demonstriert. Ein Spieler fiel vor dem Wechsel in den Reihen Chemies ganz besonders auf: der schwarzhaarige linke Läufer Riediger. Immer wieder kurbelte er den Angriff an, indem sich die Stürmer durch viele Positionswechsel stets von neuem frei Bahn schufen. Sicher wird man von der Mannschaft aus den Wolfener Agfa-Werken noch manche erfreuliche Dinge hören, wenn weiter in diese Richtung des zweckmäßigen Kombinationsfußballs gearbeitet wird.

SC Dynamo Berlin:
Hindenberg; Schneider, Schoen, Skaba; Mühlbächer, Schäffner; Heine, Schröter, Hänsicke, Legler (70. Thiemann), Matzen
BSG Chemie Agfa Wolfen:
Marziniak; Nohl, Büchner I, Köhring; Merkel, Riediger; Stanzick, Jahn, Erdmann, Wawrzyniak (62. Hänel), Büchner II

0:1 Stanzick           ( 6.)
1:1 Mühlbächer         ( 8.)
2:1 Matzen             (67.)

Schiedsrichter:        Kupke (Leipzig)
Zuschauer:             4.000

Hans-Günter Burghause, Neue Fußballwoche, 04.06.1957