03. Spieltag 1957: SC Dynamo Berlin - BSG Stahl Stalinstadt 4:0

Junges Platz wurde Abschußbasis / Stahls linker Verteidiger herausgelockt / Hänsicke, Legler, Heine in Schußlaune
Da standen doch den Dynamo-Anhängern fast die Haare zu Berge. Irgend etwas hatte bei Herbert Schoen ausgesetzt, als er bei einem Stalinstädter Angriff plötzlich mit erhobener Hand im Strafraum den Ball weiterleitete. Eine bessere Chance zu einem Tor, und in diesem Falle sogar zum Führungstreffer, bestand für die Stahl-Mannschaft während des ganzen Spiels nicht. Und das schon nach einer Viertelstunde! Doch ebenso schwer enttäuscht waren dann die aus Stalinstadt nach Berlin gepilgerten Sportfreunde, als Schulze II das Leder mit enormem Anlauf weit neben das Tor knallte. Vorbei war die Chance. Es folgte nicht einmal mehr das Ehrentor, und wir möchten doch sagen, daß es die Gäste durchaus verdient hatten. Man hatte sich um ein offeneres Spiel bemüht, und im Sturm stehen da einige Könner, die nicht nur mit dem Ball umzugehen wissen, sondern auch manchen vortrefflichen Zug anbrachten.

Einen Nachteil allerdings hatte das Spiel der Gäste gegenüber dem des SC Dynamo. So intelligent, so zügig zum Beispiel Eiermann den Ball zu führen und ihn auch vor seinen Gegnern zu decken vermag, steht und fällt das Spiel letzten Endes mit den wenigen Routiniers und ist zu sehr auf sie zugeschnitten. Der Ball kommt aus dem Fluß, sobald er sich auf den Stationen außerhalb der starken Kräfte bewegt. Ganz deutlich wirkte sich demgegenüber die gleichmäßig starke Besetzung und die Cleverness der Berliner aus. Darüber hinaus konnte man mit Wohlwollen feststellen, was doch ein wenig Schußfreudigkeit und Vorwärtsdrang bei dem einen oder anderen Stürmer ausmacht. Die Stalinstädter Abwehr zählt gewiß nicht zu den zahmsten und gibt sich keineswegs kampflos geschlagen. Man sah schon, wie wirkungslos auch ein Dynamo-Angriff dastehen muß, wenn seine Stürmer nicht spritzig genug sind, wenn sie den Ball nicht laufen lassen, zu lange mit ihm umhertändeln und in einer Phalanx anrücken.

In diesen Augenblicken sah der Dynamo-Sturm geradezu harmlos aus. Doch gottlob, es war eben nur in gewissen Augenblicken so. Da gab es diesmal einen Hänsicke, den man mit Bravour losziehen sah. Er nutzte jede sich nur bietende Gelegenheit zum Abschuß. Sonderbeifall für ihn, als einen in Strafraumhöhe halbhoch und straff geschlagenen Querpaß Moppl Schröters mit einem Fallrückzieher direkt zu verwandeln suchte. Es dauerte dann nicht allzulange, bis er seinen ersten Treffer doch anbringen konnte. Die dabei Abseits gesehen haben wollen - und das war anfangs auch der Linienrichter -, waren im Irrtum. Nicht Hänsicke, sondern Matzen befand sich vor dem Ball, jedoch soweit linksaußen und nicht ins Spiel eingreifend, daß hier der Pfiff des Schiedsrichters unterbleiben konnte. Eine tolle Szene gab es kurz vor dem Halbzeitpfiff im Stalinstädter Strafraum.

Händler faustete einen Schuß völlig unnötig ins Feld zurück, Schröter ahnte "den Braten" schon, lief schnell zurück und schoß an dem weit draußen stehenden Torwart vorbei, traf allerdings nur die Lattenkante. Legler nahm den Abpraller sofort auf, und dann war es zum zweiten Mal geschehen. Es ist interessant, wenn man feststellt, daß sämtliche Tore von der rechten Seite her fielen. Das kommt nicht von ungefähr. Offensichtlich ließ sich Verteidiger Junge mehr als genug herauslocken. In das Loch aber stießen dann abwechselnd Heine, Legler und Hänsicke. Dieser für Stahl verderbenbringende Faktor gab Heine Gelegenheit zu beweisen, daß auch er nicht nur schnell ist, sondern auch bravourös zu schießen versteht. Man kann überhaupt sagen, daß gerade in der zweiten Halbzeiteinige Kostproben kombinatorischen Könnens bei den Dynamo-Leuten gegeben wurden.

Stahl beantwortete sie leider mit einigen Ruppigkeiten, um nicht zu sagen mit Unfairneß. Nosal hätte meines Erachtens verdient, des Feldes verwiesen zu werden. Gerade er hatte aber auch am meisten Konditionsschwächen und kurvte auf dem Feld nur noch im Zuckeltrab herum. Es gab also von da an keine Frage mehr nach dem Sieger. Zwei Tore, ebenso schön wie die vorigen, und von denselben Schützen erzielt, brachten das zum Ausdruck. Als Schröter sich rechts durchgesetzt hatte, halbhoch nach innen flankte, und sich dort Hänsicke hoch aufreckte, um mit dem Kopf einzusenden, war das wirklich die Vollendung eins Sieges.

SC Dynamo Berlin:
Hindenberg; Michael, Schoen, Skaba; Mühlbächer, Maschke; Heine, Schröter, Hänsicke, Legler, Matzen
BSG Stahl Stalinstadt:
Händler; Schwerdtner, Schulze I, Junge; Helmig, Petzold; Rische, Heinze, Nosal, Schulze II (57. Weiser), Eiermann

1:0 Hänsicke           (25.)
2:0 Legler             (43.)
3:0 Legler             (63.)
4:0 Hänsicke           (89.)

Schiedsrichter:        Männig (Böhlen)
Zuschauer:             3.000

Götz Hering, Neue Fußballwoche, 02.04.1957