26. Spieltag 1956: SC Dynamo Berlin - SC Motor Karl-Marx-Stadt 2:1

Abstiegsentscheidung ergab: SC DYNAMO weiter Oberliga! / Motor war selbst daran schuld / Gäste überzeugten nur eine Halbzeit - Schröter schoß das so entscheidende Siegestor
Wir konnten nach der ersten Halbzeit mit dem Spiel zufrieden sein. Trotz seiner enormen Bedeutung im Kampf um den Abstieg, trotz der dadurch bedingten Nervosität und kämpferischen Note hielt es spielerisch mehr, als man von dieser Begegnung erwartete: Daß diese Auseinandersetzung auch in technischer Hinsicht Format hatte, ist vor allem dem SC Motor zu danken, der sich von der ersten Minute an bemühte, Linie hineinzubringen, obwohl er sofort von den stürmisch beginnenden Berlinern auf eine harte Abwehrprobe gestellt wurde. Das Sturmspiel der Karl-Marx-Städter war in dieser Phase recht ordentlich anzusehen, denn geschickt verstand man es, vor allem die Tiefe des Raums zu nutzen: Das brachte die Dynamo- Abwehr mehr in Verlegenheit, als ihr lieb sein konnte.

Besondere Aufmerksamkeit mußte sie dem ausgezeichneten Mittelstürmer Holzmüller zuwenden, von dem die größte Gefahr ausging. Er war es auch, der rechtzeitig zur Stelle war, um einen Kopfball Jugolds über die Linie zu drücken. Man muß zum Sturmspiel noch bemerken, daß die Angriffsreihe der Gäste fast ohne Läuferunterstützung arbeiten mußte, da diese sich fast ausschließlich defensiv verhielten. Dynamo kam da nicht ganz mit: Die Neuformation hat keine wesentliche Verbesserung gebracht Der einzige, der überzeugen konnte, war Schäffner, der ja auch mit kernigem Schuß aus 30 Metern das Führungstor herausholte. Wenn Dynamo dennoch besser zum Zuge kam als in den letzten Begegnungen, dann infolge seines enormen Kampfeswillens.

Nach dieser Schilderung werden Sie verstehen, wenn die Gespräche zur Pause ziemlich einig waren, daß sich Motor den Klassenerhalt sichern würde, zumal es ja nur ein Unentschieden benötigte. Als acht Minuten später Maschke von dem sicher amtierenden Köpcke berechtigterweise vom Platz geschickt wurde, schien bereits die Partie für den Gast gelaufen zu sein. Wer konnte jetzt noch dem SC Motor das Gesetz des Handeins aus der Hand nehmen? Aber statt des erwarteten Generalangriffs blieb man bei der alten taktischen Konzeption, und darüberhinaus brachte der Karl-Marx-Städter Sturm nicht mehr die Aktionen zustande, mit denen er vor der Pause dem Publikum so gut gefiel. Die Berliner, die ja unbedingt gewinnen mußten, rochen bald den Braten. Nicht Motor, sondern sie waren es, die den Spielverlauf bestimmten.

So kam es nicht überraschend, daß ihnen der nicht mehr erwartete Siegestreffer gelang. Unser Auswahlspieler Günter Schröter war es, der diesen so entscheidenden Treffer mit einem raffinierten Schuß erzielte und damit seiner Mannschaft die Oberliga erhielt. Bei ihm kann sich Dynamo in erster Linie bedanken: Nicht allein wegen des Tores, sondern vor allem dafür, daß der Kapitän nie verzagte, obwohl doch die größte Last auf ihm ruhte. Nach diesem Tor war es zu spät für den SC Motor. Die Mannschaft hatte ihre Chance selbst verspielt, weil sie es nicht verstanden hatte, ihre so großen Möglichkeiten zu nutzen.

War sich der SC Motor so sicher, oder langte die Nervenkraft einfach nicht mehr aus? Aber es braucht heute keine Resignation mehr zu geben, denn die Leistungen der letzten Wochen berechtigten vollauf zu der Annahme, daß im nächsten Jahr der Wiederaufstieg gelingen kann. Die Karl-Marx-Städter sind zu einer Mannschaft geworden, die zweifelsohne Oberligareife hat. Da diese Leistungsfähigkeit erst nach langem Experimentieren erreicht wurde, kam sie zu spät, um das Blatt noch zu wenden. Der SC Dynamo ist noch einmal davongekommen. Sein Schicksal hing am seidenen Faden. Es ist noch einmal gut gegangen. Das sollte für die Verantwortlichen eine ernste Lehre sein, denn daß es überhaupt so weit kommen mußte, kann nur auf Fehler zurückzuführen sein, die jetzt ausgemerzt werden müssen.

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Skaba, Michael, Schoen; Maschke; Schäffner; Holze, Schröter, Hänsicke, Legler (68. Mühlbächer), Matzen
SC Motor Karl-Marx-Stadt:
Haake; Schwerig, Riedel, Loh; Haase; Ahnert; Speck, Jugold, Holzmüller, Fischer (78. Schulze), Bauer

1:0 Schäffner          (18.)
1:1 Holzmüller         (28.)
2:1 Schröter           (75.)

Schiedsrichter:        Köpcke (Wusterhausen)
Zuschauer:             10.000

Rolf Gabriel, Neue Fußballwoche, 13.11.1956