24. Spieltag 1956: SC Turbine Erfurt - SC Dynamo Berlin 2:0

Rosbigalles satter Schuß sicherte Klassenerhalt / Dynamo zu defensiv eingestellt, aber Klemm tadellos
Kaum waren das erste Händeschütteln, die erste Gratulation in der Erfurter Kabine vorbei, da begann das große Rechnen. Angestrengt wurden Tabellen verglichen, Torquoten dividiert und vielerlei Möglichkeiten einkalkuliert. "Wenn Dynamo Motor schlägt, oder wenn sie Unentschieden spielen..." So hörte man aus vielen Mündern. Und dann endlich stand es fest: Dieses 2:0 reichte aus, die Klasse zu halten. Das Erfurter Torverhältnis (34:35) ist von den anderen bedrohten Mannschaften nicht mehr auszugleichen. Ja, der letzte Fußballmeister wird auch im nächsten Jahr der höchsten Spielklasse angehören: So ist es eben im Sport.

Gestern umjubelter Meister, heute Abstiegskandidat, morgen... wer weiß? Man merkte es dem Spiel beider Mannschaften an, daß ihnen das (Abstiegs)wasser bis zum Halse steht. Was man sich da in der ersten Halbzeit leistete, das zeugte wirklich kaum von Oberligareife. Nur der Zufall bestimmte die Aktionen, und als Turbine einige Chancen hatte, war der Berichterstatter versucht, sich das Wort vom Einäugigen unter den Blinden zu notieren. Ja, selbst in dieser Zeit des Spiels, das in seiner Tristheit ganz zum Wetter paßte, war Turbine ein wenig besser, sofern man davon reden kann. Vielleicht wird das Niveau der ersten 45 Minuten klarer dadurch charakterisiert, wenn man feststellt, daß Dynamo noch ein wenig schlechter als der Gegner war.

Immerhin hatte Breuer zweimal (4. und 25. Minute) die Möglichkeit, die Führung für seine Elf herauszuholen. Doch Klemm hielt hier wie auch früher und später ganz ausgezeichnet. Und doch - und damit kommen wir zum erfreulicheren, weil besseren Teil des Spieles - gab gerade ein Fehler des Dynamo-Hüters Vollrath die Chance, das 1:0 zu erzielen. Das war in der 54. Minute, als Dittrich von rechts vors Tor flankte, Klemm dem Ball entgegenstieg, die tückisch glatte Kugel jedoch verfehlte. Vom Kopf des Mittelstürmers prallte der Ball ins Netz. Das gab den Erfurtern Selbstvers trauen, Rückhalt, das minderte die Nervosität in den Turbinereihen: Überzeugte man jetzt auch nicht in spielerischer Hinsicht restlos, so gab jeder einzelne das Letzte an kämpferischer, leidenschaftlicher Hingabe.

Das machte das Treffen schließlich noch spannend, sogar dramatisch, ließ die Zuschauer endlich begeistert mitgehen. In fast jeder Minute gegen Schluß des Spieles stand Klemm im Mittelpunkt. Flanke - zur Ecke gefaustet. Ausgeführt - Kopfball oder Schuß. So war es oft. Doch Klemm und das Torgebälk verhinderten weitere Erfolge. Fast schienen die Stürmer zu verzweifeln, bis dann endlich Läufer Rosbigalle den Bann brach - und wie: Nach langem Dribbling erzielte er 11 Minuten vor Schluß mit sattem Spannschuß das 2:0. Hoch im Winkel schlug der Ball ein, unerreichbar für Klemm: Ein Tor, wie man es selten sieht, ein Tor, das Punkte und Klassenerhalt bedeutete.

Das Zunull stellt der Turbine zwar ein gutes. den Dynamo-Stürmern gleichwohl ein schlechtes Zeugnis aus. Nie während der 90 Minuten gingen die Berliner von der Defensive ab. Nie suchten sie im konsequenten Stürmen das Steuer herumzureißen. Zu weit hing Maschke im Mittelfeld, praktisch dritten Läufer spielend, zu sehr operierte Schröter aus rückwärtiger Position und aus dem Stand, als daß dieser Angriff gefährlich werden konnte. Zudem lief man oft anfängerhaft in die Erfurter Abseitsfalle, verfehlte auch das klare Aufbauspiel schon aus der Deckung heraus. Nun bleibt Dynamo nur noch die Hoffnung auf das Spiel gegen den SC Motor.

SC Turbine Erfurt:
Jahn; Hoffmeyer, Skaba, Meinelt; Löffler, Rosbigalle; Weise, Dittrich; Vollrath, Breuer, Wallrodt
SC Dynamo Berlin:
Klemm; Skaba, Michael, Heine; Mühlbächer, Thiemann; Holze (75. Hofmann), Schröter, Pinske, Maschke, Matzen

1:0 Vollrath           (54.)
2:0 Rosbigalle         (79.)

Schiedsrichter:        Köhler (Leipzig)
Zuschauer:             12.000

Klaus Schlegel, Neue Fußballwoche, 06.11.1956