20. Spieltag 1956: SC Dynamo Berlin - BSG Rotation Babelsberg 4:3

Als Harbolla fehlte, fiel das Siegestor / Zehn Babelsberger erreichten immerhin Ausgeglichenheit im Felde / Wo war der Arzt?
Wie schon immer bei Spielen "ihrer" Mannschaft in der benachbarten Hauptstadt, waren die Babelsberger Fußballanhänger wieder in hellen Scharen nach Berlin gekommen, um den Mannen um Schöne und "Schupo" Tietz die fehlende heimische Atmosphäre so gut wie möglich zu ersetzen: Das Stimmungsbarometer auf den Rängen zeigte auch überwiegend "Babelsberg" an. Aber die S-Bahn nach Potsdam wird am Abend nur mißmutige Fußballfans zurückgebracht haben, blieben doch beide Punkte trotz aller "Opferbereitschaft" an Unterstützung in Berlin beim SC Dynamo. Und dabei waren die Babelsberger einer Punkteteilung so nahe! Das es nicht dazu kam, lag vor allem an der zu hohen physischen Anforderung, die diesmal an sie gestellt wurde.

Nach der Auswechslung des verletzten Huth mit Hagen zog sich Harbolla in der 50. Minute bei einer unglücklichen Kopfball-Karambolage mit Skaba eine Platzwunde an der Stirn zu, die ihn zum Verlassen des Spielfeldes zwang. Es war unverständlich, daß sich kein Arzt, keine Sanitäter blicken ließen, die sich des Verletzten sofort angenommen hätten. Harbolla mußte erst ins Krankenhaus transportiert werden, um sich ein Heftpflaster auf die Wunde drücken zu lassen! In der 84. Minute erschien er wieder ... zu spät, um das Steuer noch mit herumreißen zu können. Mag Dynamo noch so viele Entschuldigungen hervorbringen, es bleibt eine folgenschwere organisatorische Panne, daß keine sanitären Helfer zur Stelle waren. Es hätte Schlimmeres geschehen können. Noch in dem Zeitraum, in dem sich die Babelsberger mit zehn Mann den Dynamo-Angriffen zu erwehren hatten, fiel das entscheidende Tor - für den Gastgeber.

Trotzdem kann nicht einmal gesagt werden, daß Dynamo auf Grund des gehandicapten Gegners ein deutliches Übergewicht gewonnen hätte. Das war nur in den ersten zehn Minuten nach dem Ausscheiden Harbollas der Fall. Dann fingen sich die Filmstädter wieder und erzwangen erneut Gleichwertigkeit im Feldspiel. Ja, vielfach operierten sie sogar zwingender als die sich oftmals in "Klein-Klein" verlierenden Dynamo-Stürmer. Die Begegnung war voller spielerischer Höhepunkte, was die torreichen Szenen anbetrifft, die gezeigten Leistungen dagegen befriedigten nicht immer. Auf der einen Seite ist die erschreckende Schußungenauigkeit von Maschke zu bemängeln, auch einige unnütze Tändeleien "Moppel" Schröters und die schwache Läuferpartie Thiemanns, der dem Babelsberger Sturmregisseur Schöne zu viel Spielraum ließ.

 Auf der Gegenseite unterliefen Torwart Marquardt einige Schnitzer, spielte Gießler I besonders in der Schlußphase zu sehr "aus dem Stand" und erwies sich Bartholomäus oft als ein bröckelnder Fels in der wogenden Brandung. Bei aller Kritik muß jedoch bedacht werden, daß die zehn Babelsberger weit mehr Kondition aufbieten mußten. Die Tore aber waren sehenswert. Schröter erzielte schon in der 5. Minute das 1:0, als er in einer harmlosen Situation den Ball plötzlich aus 20 Metern scharf abschoß und das Leder von der Innenkante der Latte in den Torraum rollte. Marquardt bot hierbei keine glückliche Figur. Bereits zwei Minuten danach erreichte Gießler II aus 14 Metern den Ausgleich. Maschkes Kopfballtor in der 33. Minute nach Flanke von Matzen war eine hervorragende Leistung.

Doch nach zwei weiteren vollen Umdrehungen des Minutenzeigers hatte Gießler I erneut den Ausgleich hergestellt: In einer bei ihm typischen "Lauerstellung" erwischte er den Ball und vollendete, in aller Seelenruhe Maß nehmend, aus 12 Metern zum 2:2. Ein herrlicher "drop-kick"-Schuß aus 20 Metern von Matzen ließ die Dynamo-Elf in der 41. Minute wieder in Führung gehen. Dem 3:3-Ausgleich nach Wiederanpfiff durch Adam, der sich einen Paß von Schöne erlief und von dem verzweifelt spurtenden Schneider nicht abdrängen ließ, folgte lange Zeit kein Treffer mehr, bis Schröter in der 82. Minute den 4:3-Endstand besorgte. Torchancen hatten davor beide Seiten zwar noch in Fülle, aber sie wurden durch Umständlichkeit der Stürmer und durch schlecht berechnete Schüsse vergeben. Von Schiedsrichter Vogel hätte man sich gewünscht, daß er mehr Sorgfalt auf die Anwendung der Vorteilsregel legt.

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Skaba, Schoen, Schneider; Mühlbächer, Thiemann; Holze, Schröter, Pinske, Maschke, Matzen
BSG Rotation Babelsberg:
Marquardt; Pillau, Bartholomäus, Adam; Tietz, Harbolla (50. verletzt ausgeschieden); Huth (46. Hagen), Schöne, Selignow, Gießler I, Gießler II

1:0 Schröter           ( 5.)
1:1 Gießler II         ( 7.)
2:1 Maschke            (33.)
2:2 Gießler I          (35.)
3:2 Matzen             (41.)
3:3 Adam               (49.)
4:3 Schröter           (82.)

Schiedsrichter:        Vogel (Karl-Marx-Stadt)
Zuschauer:             12.000

Lothar Branzke, Neue Fußballwoche, 25.09.1956