19. Spieltag 1956: SC Motor Zwickau - SC Dynamo Berlin 4:1

Espig, Franz rollten Dynamo-Abwehr auf
Es ist Wirklichkeit geworden. Was den Zwickauern im letzten Heimpunktspiel gegen Rotation auf Grund einer schwachen Endleistung nicht gelang, das schafften die Mannen um Meinhold an diesem Sonntag mit einer großen Leistung klar und eindeutig. Der Angstgegner aus der Hauptstadt, SC Dynamo, lag nach 56 Minuten mit vier Toren im Rückstand. An der Klarheit und Eindeutigkeit des Ergebnisses vermochte auch der Treffer von Matzen nichts zu ändern. Der SC Dynamo hatte gegen diesen Gegner in keiner Form eine Chance. Die Anfangsoffensive droht zu scheitern. Das war in der 21. Minute. Mittelstürmer Franz drang mit der ihm eigenen, eigentümlichen Art, den Ball zu führen, in den Dynamo-Strafraum ein, umspielte Thiemann, schüttelte Skaba ab und versuchte an Herbert Schoen vorbeizukommen.

Alles in Blitzesschnelle und sehr, sehr raschem Lauftempo. Da kam das lange Bein des Stoppers. Franz stürzte schwer, Schiedsrichter Schneider aber winkte ab und ließ weiter spielen. Das Stadion glich einem Hexenkessel. 11.000 Kehlen protestierten. Das Pfeifkonzert wollte kein Ende nehmen. Espig behält die Ruhe. Würde Motor Zwickau nach dieser großen Chance in Führung zu gehen, resignieren? Würden Kaiser, Meinhold, Franz gegen die unerbittliche Bewachung eines Skaba, Schneider und Herbert Schoen aufgeben? Nichts von alledem! Motor spielte wie aus einem Guß. Immer wieder drückte Lindner an der Außenlinie mit nach vorn. Immer wieder brannte es lichterloh im Strafraum von Dynamo.

Und dann war es soweit. Ein hoher Schlag aus der Hintermannschaft erreiche Meinhold in Mittelstürmerposition. Vor Herbert Schoen schraubte sich der kleine Zwickauer Flügelstürmer hoch, köpfte zurück zu Espig, der völlig freistehend den Ball annahm, noch zwei Schritte machte und aus etwa 16 Metern abfeuerte. Milack hatte keine Chance. Bis zu diesem Zeitpunkt und auch in der folgenden Viertelstunde erzwang der SC Dynamo trotz der schnellen, gefährlichen Zwickauer Angriffe und der besseren Chancen der Gastgeber ein offensives Spiel. Aber es wirkte zu beschaulich, zu ruhig, und die Mannen um Stopper Glaubitz, der mit dicker Kopfbandage spielte (auch Witzger und Öttler mußten den Kampf lädiert aufnehmen, hielten sich aber sehr, sehr tapfer), ließen sich nicht erschüttern.

Rainer Franz schaut auf: Das war die endgültige Wende. Eben aus den Kabinen zurückgekommen, hatte Dynamo jetzt mit Maschke als Läufer und Thiemann als Mittelstürmer einen gefährlichen Angriff vorgetragen. Weit kam der Schlag aus der Hintermannschaft zu Franz auf Linksaußen, der dieses Mal Herbert Scham einige Meter vor sich sah. Franz schaute auf, sah Espig heranpreschen und bediente prompt. Im rechten Dreieck schlug es zum zweiten Male für Motor ein. Was jetzt kam, erinnerte an die besten Zeiten von Motors Hintermannschaft. Direkt, schnell und kompromißlos spielten die Blauhemden ohne jede Scheu, ohne alle Hemmungen.

Wie in einer Fußballschulstunde wanderte der Ball von Mann zu Mann, vom linken zum rechten Flügel, in die Gasse. Wie in einem Trainingslager klappte das Freilaufen und das Sprinten in den freien Raum. Die Dynamo - Hintermannschaft kam ins Schwimmen, blieb einfach stehen, als Espig und Baumann Kaiser und Meinhold auf die Reise schickten. Wer noch einen Zweifel hegte, der war nun ganz fest überzeugt: Diese beiden Heimpunkte bleiben in Zwickau. Trainer Petzolds Stimmung war verständlicherweise nicht die beste am Ende der 90 Minuten. Moppel Schröter und Pinske hatten nicht die von ihnen so oft gesehene Wirkung erreichen können. Herbert Schoen vermochte ebenfalls nicht an die Tage seiner besten Kämpfe anzuknüpfen.

Eine Enttäuschung aber bereitete dem Dynamo-Trainer vor allem Mühlbächer, dessen Aufgabe als rechter Läufer es hätte sein müssen, den Zwickauer Regisseur und zweifachen Torschützen Espig zu bewachen. Schon die beiden Treffer allein machen eine Aussage darüber, inwiefern der Dynamo-Läufer diesen Auftrag bewältigte, sie kennzeichneten aber die große Vernachlässigung der Deckungsarbeiten sogar noch ungenügend. Walter Espig war Motor Zwickaus Spielmacher. Meist frei und viele Meter von ihre entfernt, bewegte sich Mühlbäcker sorg- und arglos, selbst nachdem es zweireal eingeschlagen hatte. Das entsprach nicht dem Niveau, das man gerade von einem so jungen und talentierten Spieler erwartet.

SC Motor Zwickau:
R. Baumann; Hertzsch, Glaubitz, Öttler; Lindner, Witzger; Meinhold, W. Baumann, Franz, Espig, Kaiser (80. Czempiel)
SC Dynamo Berlin:
Milak (65. Klemm); Skaba, Schoen, Schneider; Mühlbächer, Thiemann; Holze, Schröter, Pinske, Maschke, Matzen

1:0 Espig              (34.)
2:0 Espig              (48.)
3:0 Kaiser             (55.)
4:0 Meinhold           (56.)
4:1 Matzen             (71.)

Schiedsrichter:        Schneider (Forst)
Zuschauer:             11.000

Harro Römer, Neue Fußballwoche, 18.09.1956