18. Spieltag 1956: SC Dynamo Berlin - ZSK Vorwärts Berlin 1:1

Halbstürmertandem Schröter-Pinske kurbelte unermüdlich / Eine Halbzeit Klassefußball beim Berliner Ortsderby! / Vorwärts wirkte stark übermüdet
Die dritte Begegnung hintereinander endete zwischen den Berliner Oberliga-Kontrahenten auch ohne Entscheidung, diesmal erneut 1:1 wie schon in der ersten Serie. Aber etwas unterschied dieses Spiel von dem letzten, das bei ähnlichen äußeren Bedingungen ausgetragen wurde (warm, schwül). Es bot mehr Dramatik und Können als die verunglückte 1. Partie vor Monaten. Das ist wohl in erster Linie der erstaunlichen und erfreulichen Formsteigerung Dynamos zu danken. Das 5:1 gegen den SC Fortschritt fand am Sonntag die Bestätigung gegen den ZSK Vorwärts. Und Dynamo hätte den Kampf schon in der ersten halben Stunde klar für sich entscheiden können und müssen.

Aber da zeigte sich noch eine Schwäche des im allgemeinen sehr frisch und zweckmäßig spielenden Angriffs, wenn er in Momenten der Torbedrohung noch nicht die überlegte Ruhe und Kaltblütigkeit behielt, um die Chancen zu verwerten. So entstanden zwar gerade im ersten Durchgang viele erregende Momente, wobei die etwas konfuse Vorwärts-Abwehr mit dem seine Krise noch nicht überstandenen Spickenagel (!) natürlich erhebliche Schuld trug, weil nicht immer sauber geklärt wurde. Dynamo spielte in dieser Zeit sehr eindrucksvoll. Das bewegliche Halbstürmer-Tandem Schröter-Pinske trieb den Angriff auf Hochtouren.

Beide, immer wieder klug an die Flügel oder auch nach hinten ausweichend und sich anbietend, entzogen sich klug dem Zugriff der gegnerischen Läufer und verlagerten den Vorstoß jedesmal im rechtzeitigen Moment auf den anderen Flügel. Dynamos Stürmer wären ständig auf der Suche nach dem freien Raum und stießen in die Tiefe. Sie schufen sich damit die notwendige Bewegungsfläche. Und da bei den Steilangriffen auch die Vorlagen mit der entsprechenden Genauigkeit und stets mit dem richtigen Schärfegefühl gegeben wurden, hatte man eigentlich an der Leistung Dynamos kaum etwas auszusetzen. Nur mit den Schüssen klappte es nicht richtig, obwohl sich Schröter hierbei auszeichnete (überhaupt ist "Moppel" wieder tadellos in Schwung, einfallsreich wie eh und je und fleißig).

Vorwärts fand nur schwer die richtige Einstellung zu Dynamo: Eilitz schuftete für zwei, Marotzke steigerte sich zusehends, und was Kiupel noch an Stellungsspiel und Beweglichkeit fehlt, versucht er durch seine Körpergröße und die sich daraus ergebenden Vorteile sowie seinen technisch sauberen Schlag auszugleichen. Vorwärts überstand den Ansturm des Gegners und ließ sich nur für kurze Zeit durch den schnell erzielten Treffer schockieren. Aber im Sturm sah es "trübe" aus. Er drängte wieder viel zu sehr zusammen, und da auch Kalinke ihm nicht die erhoffte Stoßkraft verlieh, gab es wieder viele Karussellfahrten im echten Vorwärts-Stil zu sehen. Der rechte Flügel war wohl noch am wirksamsten, weil wenigstens Wolf seinen Nebenmann zu führen verstand.

Assmy machte aber zuwenig Gebrauch von seinem gefahrvollen Schuß, obwohl ihm mit Schneider noch der schwächere der beiden Dynamo-Außenverteidiger gegenüberstand. Bezeichnenderweise fiel der Ausgleich nach einem Gewaltdribbling des unverwüstlichen Eilitz, der sich im Dynamo-Strafraum den Ball sogar noch zu weit vorlegte (Herbert Schoen gab nicht acht!) und dann zu Wolf paßte, der vollendete. Unverkennbar die Flaute im zweiten Abschnitt. Die temposcharfen 45 Minuten bis zur Halbzeit-Atempause bei drückender Septemberhitze hatten Tribut gefordert. Und wer so wie der Verfasser die Gelegenheit hatte, den Spielern immer unmittelbar nahe zu sein, da er diesmal hinter dem Tor Platz genommen hatte, weiß, wieviel Schweiß das Spiel gekostet hat.

Es wurde mit aller Härte und vollem Einsatz, aber anständiger Gesinnung gespielt. Und dennoch war Dynamo zu schlagen gewesen, selbst von dieser Vorwärts-Elf, die stark übermüdet wirkte. Dynamo hatte nämlich seine Kräfte überfordert, und was Schröter für seinen Sturm ausmacht, spürte man, als er "Kunstpausen" einlegen mußte, um Atem zu schöpfen. 90 Minuten kann eine Mannschaft nun mal nicht auf Hochtouren laufen. Aber Vorwärts war nicht zielstrebig genug, um diese Schwäche zu erkennen und auszunutzen.

Dynamos Abwehr, anfangs messerscharf und genau deckend, wurde verwundbar, weil die linke Seite mit dem groß beginnenden, aber nachlassenden Thiemann und Schneider offener wurde. Aber nur die letzten zehn Minuten gehörten Vorwärts eindeutig: Die Routine Herbert Schoens, die Kaltblütigkeit Mühlbächers und die Zurückziehung beider Halben ließen Vorwärts trotzdem nicht zum Erfolg kommen (Reichelt traf in der 90. Minute nur die Latte!). In schnellen Gegenstößen war Dynamo aber immer gefährlich. Bei rationellerer Kräfteeinteilung und gleichbleibend spielerischer Form wird Dynamo wieder zu unseren Spitzenmannschaften gehören. Ohne Schwierigkeiten konnte Schiedsrichter Köpcke amtieren, da beide Kollektivs trotz des harten Einsatzes immer die Fairneß oberstes Gebot sein ließen.

SC Dynamo Berlin:
Milak; Skaba, Schoen, Schneider; Mühlbächer, Thiemann; Holze, Schröter, Pinske, Maschke, Matzen
ZSK Vorwärts Berlin:
Spickenagel; Eilitz, Kiupel, Marotzke; Unger, Reichelt; Assmy, Wolf, Kalinke, Bley (72. Wachtel), Wirth

1:0 Matzen             ( 3.)
1:1 Wolf               (20.)

Schiedsrichter:        Köpcke (Wusterhausen)
Zuschauer:             15.000

H. Müller, Neue Fußballwoche, 11.09.1956