12. Spieltag 1956: SC Dynamo Berlin - SC Wismut Karl-Marx-Stadt 2:1

Dynamos Innentrio zermürbte die Wismut-Abwehr! / Manfred Fuchs: Gebrüder Wolf müssen besser decken!
"Dem SC Wismut könnte ein wenig Ruhe nicht schaden, denn er machte einen etwas abgespannten Eindruck" Nachzulesen sind diese Zeilen in der letzten Ausgabe der "Fu-Wo", geschrieben nach dem Punktetreffen gegen Lok Leipzig, das 0:0 ausging. Diese Auffassung des Verfassers hat sich nach dem letzten Spiel der ersten Serie erneut bestätigt. Der SC Wismut ist ausgepumpt, saft- und kraftlos, ohne Schneid und Herz. Das sind die tieferen Ursachen für sein augenblickliches Formtief. Denn es ist nichts weiter als eine physische Schwächeperiode, die die Leistungen des Tabellenführers absinken ließ. Eine solche Krise macht jede Elf einmal durch. Wismut hat das Spielen nicht verlernt.

Nur braucht die Mannschaft Zeit zur Auffrischung der verlorengegangenen Kondition. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Am kommenden Sonntag sind die besten Spieler der Mannschaft gegen Polen mit von der Partie; dann steht die Aufgabe gegen Honved Budapest bevor, und anschließend fährt die Elf noch zu drei Begegnungen in die Schweiz. Am 18. August beginnt aber schon wieder die zweiten Halbserie. Das sind lohnende Aufgaben, aber ist damit nicht die Gefahr verbunden, daß unsere beste Mannschaft überfordert wird? Auch das Kollektiv des SC Wismut ist schließlich keine Maschine, die man beliebig an- und abstellen kann und die dennoch immer mit der gleichen Tourenzahl läuft.

Manfred Fuchs, bekannt als einst robuster Spieler und gewiß auch nicht sanfter Trainer, wollte mir die These von der körperlichen Überanstrengung der Mannschaft nicht "abkaufen". Er sah die Ursachen für die Niederlage gegen Dynamo vielmehr darin, daß sie die Abwehrspieler nicht an ihre gestellten Aufgaben gehalten hätten. Selbstverständlich ist das richtig, und besondere Schuld trägt daran das Läuferduo der Gebrüder Wolf. Beides ist nach meiner Auffassung aber erst richtig. Damit ist freilich noch lange nicht die famose Leistung der Berliner gewürdigt. Dynamo hat gegen den Spitzenreiter so gut wie lange nicht gespielt. Abwehr und Sturm ergänzten sich ganz ausgezeichnet.

Hinten organisierte Herbert Schoen die lückenlose Deckung. Er selbst schaltete den gefährlichen Tröger restlos aus; der Willi verlor bei der immer deutlicher werdenden Aussichtslosigkeit seines Unternehmens dann auch sichtlich die Lust. Dazu kommt noch die Tatsache, daß er seine einzige Torchance ausließ, obwohl ihm nach eigenen Worten (er ist darin immer ehrlich) Klemm die lange Ecke "frei machte". Beide Außenverteidiger Dynamos erledigten ihre Aufgaben zuverlässig. Das junge Läufergespann teilte sich geschickt in die Aufgaben der Deckung und Offensive. Mühlbächer als der kaltblütigere von beiden beschattete Kaiser und verurteilte ihn so ziemlich zur Bedeutungslosigkeit, trat aber damit nicht so effektvoll in Erscheinung.

Der diesmal rechts aufgestellte Thiemann schnellte dafür oft mal in den Angriff vor. Man sah ihn häufig im gegnerischen Strafraum. Das Glanzstück aber war Dynamos Angriff, eigentlich das Sorgenkind der Trainer in letzter Zeit. Zwei schnelle Spitzen, die Flügelstürmer Holze und Matzen, sahen sich immer wieder klug geführt vom Innentrio, in dem Maschke diesmal die Nummer 9 trug, aber wie schon mehrfach in der letzten Zeit im harmonischen Positionswechsel mit dem glänzend aufgelegten Schröter mal im Mittelfeld Aufbauaufgaben erfüllte, dann aber wieder zur Bedrohung des gegnerischen Tores zur Stelle war. Schröters Leistung muß besonders gewürdigt werden.

Er entfaltete eine Aktivität, die schließlich entscheidend für den Schwung des Dynamo-Angriffs wurde, der zügig wie lange nicht mehr kombiniert hat und an seine besten Zeiten erinnerte. Die reine Ausdauerleistung des kleinen Halbrechten, der unermüdlich vorn und hinten, rechts sind links auftauchte, war allein schon imposant. Abgesehen von der Tatsache, daß er selbst mehrfach technisch vollendet aus den schwierigsten Lagen schoß. Steinbach war jedoch mit seinem geschickten Stellungsspiel immer zur Stelle). Die beiden Wismut-Läufer ließen aber Dynamos Innensturm recht viel Entfaltungsfreiheit. Hierin lag einer der Schuldgründe für die berechtigte Niederlage der Erzgebirgler, die neben ihrer fehlenden körperlichen Fitness auch geistig nicht in der erforderlichen Form auf dieses Spiel eingestellt schienen.

Man kann den Verteidigern nicht einmal den schwersten Vorwurf machen, daß die Flügelstürmer Dynamos sehr viel Bewegungsraum hatten. Sie waren durch die offensive Haltung ihrer Läufer dazu gezwungen, (Karl Wolf bemühte sich um seinen Angriff sehr rührig) nach innen zu rücken). Notgedrungen sah auch Bringfried Müller unter diesen Voraussetzungen nicht immer gut aus, so daß er vom Schoen in der Wirkung übertroffen wurde. Der SC Dynamo hat diesen letzten Punktekampf der ersten Halbserie hochverdient gewonnen. Ihm kam aber dabei die Tatsache entgegen, daß Wismut durch Überanstrengung in eine Formkrise geraten ist. Eine solche Zeit macht aber schließlich jedes Kollektiv einmal durch. Auch die Berliner sind nicht ohne bedeutende Anstrengungen geblieben, so daß im Endeffekt Vor- und Nachteile für beide Teams einander aufwiegen. Wismut aber wird wiederkommen - das ist meine feste Überzeugung!

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael, Schoen, Haufe; Mühlbächer, Thiemann; Holze, Maschke, Pinske (79. Heine), Schröter, Matzen
SC Wismut Karl-Marx-Stadt:
Steinbach; Glaser, Müller, Bauer; K. Wolf, S. Wolf; Viertel, Kaiser, Tröger, Wagner, Freitag (65. Günther)

1:0 Pinske             (42.)
2:0 Maschke            (76.)
2:1 K. Wolf            (80.)

Schiedsrichter:        Schulz (Berlin)
Zuschauer:             8.000

Heinrich Müller, Neue Fußballwoche, 17.07.1956