11. Spieltag 1956: SC Dynamo Berlin - SC Turbine Erfurt 3:2

Wer gibt dem Meister wieder Sturmzuschnitt? / SC Turbine fehlte eine spielgestaltende Kraft, wie sie Dynamo mit Schröter besaß
Es begann mit verheißungsvollen Vorstößen der Berliner. Schon vorher hatten sie versichert: "Ab heute wird nur noch voll offensiv gespielt. Entweder wir sterben oder machen ein gutes Resultat." Rolf Jahn, der sich im Laufe des Spiels so manches Mal Sonderbeifall holte und auch verdient hatte, mußte gleich mehrfach energisch eingreifen. Die Ursache zu diesen für den Meister brenzligen Situationen, aber lag an der Unsicherheit von Hofmeyer, der für den verletzten Nordhaus und seinen ebenfalls nicht einsatzfähigen Ersatzmann Skaba ins Zentrum der Abwehr gerückt war. Trainer Geitel hatte diese Gefahrenstelle sofort erkannt und versuchte, das Loch zu stopfen, indem er Hofmeyer und Franke die Plätze tauschen ließ.

Alle Anerkennung: Die Abwehr der Erfurter erhielt durch diese Maßnahme sofort mehr Festigkeit, aber sie blieb dennoch brüchig, weil eben "Kimme" diesmal ein völliger Ausfall war. Das machte sich natürlich gegen den eifrigen Matzen fast ebenso wirksam bemerkbar. Zunächst aber konnte Turbine Verluste vermeiden. Im Gegenteil: Der Meister konterte plötzlich. Nach 20 Minuten lag er sogar verheißungsvoll 2:0 in Front und schien einem Sieg zuzusteuern. Der nicht ungeschickt operierende Angriff erzielte diese Treffer jedoch durch krasse Abwehrfehler der Berliner. Ihm kommt indessen das Verdienst zu, diese Chancen blitzschnell und kaltblütig zu nutzen. Nicht alle können dies in entscheidender Sekunde! Dem 0:1 ging ein Rückzieher Weises in den Dynamo-Strafraum voraus.

Herbert Schoen, sonst wieder eine unerschütterliche Säule in der Abwehr (wir haben zur Zeit keinen besseren Mittelverteidiger!), köpfte den Ball ungenau zurück. Hermsdorf stand aufnahmebereit und schob das Leder sofort zu Wallrodt, den Michael sträflich ungedeckt gelassen hatte. "Conny" lief noch ein paar Schritte und feuerte aus halblinker Position unhaltbar für Klemm ab. Vier Minuten danach hatte Rosbigalle, wie in alten Zeiten plötzlich aus dem Hinterhalt vorstoßend, den Ball nach einer Vorlage von Weise an den rechten Pfosten geschmettert! Das zweite Tor fiel aber doch noch. Vollrath stand fast an der Grundlinie in Linksaußenstellung, flankte. Heinz Klemm verrechnete sich völlig, über ihn hinweg segelte die Kugel zu Lothar Weise, der kaum Mühe hatte, sie mit der Stirn im Dynamo-Netz unterzubringen.

Plötzlich also 2:0 gegen die Berliner. Dynamo aber bekam bald Oberwasser im Mittelfeld. Das war indessen weniger ein Verdienst der beiden noch jungen Läufer Schneider und Thiemann, auf die man bei Dynamo große Stücke hält, sondern vor allem dem Fleiß von Schröter zu verdanken, dessen spielgestaltende Kraft immer wieder unschätzbar ist. Einen solchen Spieler hatte der Meister nicht in seinen Reihen, besonders nicht im Angriffsquintett. Nach gutem Start tauchte Hermsdorf unter. Schade, daß dieser begabte, spielintelligente Halblinke in seiner Entwicklung stehengeblieben ist. "Gucki" Schmidt, halbrechts stürmend, ist noch zu unerfahren und auch physisch zu schwach, um dem Turbine-Sturm den verlorengegangenen Zuschnitt zurückzugeben.

Ein anderer der Stürmer aber ist schon rein typenmäßig kaum dazu in der Lage, als "strategische Station" im Mittelfeld zu fungieren. Diese Tatsache ist wohl eine der großen Sorgen Trainer Geitels! Dynamo aber fehlt noch ein zweiter Spieler, der Schröter hin und wieder entlasten kann. Das ist um so notwendiger, als die beiden Läufer, wie bereits erwähnt wurde, noch nicht jene Sicherheit, jenen unablässigen Blick für die Situation besitzen, wie er bei Läufern einer Klassemannschaft vorhanden sein muß. Aber eins haben diese beiden jungen Leute, weshalb sie auch das Vertrauen ihres Trainers und der Teamkameraden besitzen: Sie kämpfen mit Feuer und Hingabe und sind ganz bei der Sache.

Viel können diese lobenswerten Eigenschaften ausgleichen, was an technischen und taktischen Mängeln noch vorhanden ist und noch abgestellt werden muß. Dennoch darf man nicht verkennen, daß Dynamo trotz der unzweifelhaft festzustellenden Formsteigerung noch nicht wieder jene elegante Linienführung im Angriff entwickelt, wie wir sie bei der Mannschaft immer so geschätzt haben. Trotz aller schon wieder vorhandenen Positionswechsel, trotz allen Bemühens auch von Wrobel, Hänsicke und Matzen, die ja mithalfen, Dynamos Angriffsstil zu formen. Nicht zuletzt aber triumphierten die Berliner auch deshalb, weil sie die bessere Kondition ins Treffen mitbrachten: Ermüdungserscheinungen machten sich nämlich beim Meister bemerkbar, die auf Konditionsmangel schließen lassen: Ausnahmen machten hier nur Jahn, Franke, Rosbigalle und Weise.

Ja, Weise. Er wurde nun auch noch verletzt und erhöht damit das Kontingent der Invaliden beim Meister, der in dieser Beziehung tatsächlich vom Pech verfolgt wird. Michael stieg rücksichtslos beim Zweikampf gegen den Rechtsaußen ein, wobei wir ihm natürlich keine Absicht unterschieben wollen, etwa Weise auf solche Art auszuschalten, weil er der gefährlichste Erfurter war. Aber Michael sollte seinen Stil korrigieren. Das gleiche kann man auch Hofmeyer empfehlen, der bei einem Angriff gegen Schröter von hinten hereinlangte, ohne eine Möglichkeit zu haben, an den Ball zu kommen. Fehlende Oberkörperhärte und Körperbeherrschung ersetzen unsere Spieler immer wieder durch Unsauberkeiten, die nur die Gefahr in sich bergen, den gegnerischen Sportkameraden zu verletzen.

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael, Schoen, Haufe; Schneider, Thiemann; Wrobel, Maschke (69. Pinske), Hänsicke, Schröter, Matzen
SC Turbine Erfurt:
Jahn; Franke; Hofmeyer, Meinelt; Löffler, Rosbigalle; Weise, Schmidt (68. Dittrich), Vollrath, Hermsdorf, Wallrodt

0:1 Wallrodt           ( 9.)
0:2 Weise              (20.)
1:2 Wrobel             (30.)
2:2 Matzen             (60.)
3:2 Schröter           (68.)

Schiedsrichter:        Köhler (Leipzig)
Zuschauer:             7.000

Heinrich Müller, Neue Fußballwoche, 29.05.1956