05. Spieltag 1956: ZSK Vorwärts Berlin - SC Dynamo Berlin 1:1

Berliner Lokalderby keine Leistungskraftprobe! / Es ging den Spielern fast alles daneben
Es gibt Spiele, über die zu berichten ein Vergnügen ist. Es gibt Spiele, bei denen man jedes Wort mehrmals überlegen muß, um ihnen einigermaßen gerecht zu werden. Es gibt aber auch Spiele, und die sind erfreulicherweise selten, bei denen es schwer ist, überhaupt Worte zu finden. Das Berliner Lokalderby am vergangenen Sonntag gehört leider zu der letzteren Kategorie. Dabei hatte der Punktekampf in den Anfangsminuten durch die rasche Torfolge interessante Momente. In der siebenten Minute erhielt Assmy auf Rechtsaußen freistehend den Ball. Er lief fast bis zur Grundlinie, flankte halbhoch vor das Tor, wo Wirth vor dem fangbereiten Klemm den Ball mit dem Kopf ins Netz stieß.

Neun Minuten später bekam Schröter das Leder in halbrechter Position, zwanzig Meter vom Vorwärts-Gehäuse entfernt, und feuerte aus der Drehung einen "Pfundsschuß" an dem verdutzten, sichtbehinderten Jacobs vorbei in die linke Torecke. Das waren zwei schöne Aktionen unserer beiden Auswahlspieler. Damit war aber zugleich der Vorrat an Torschüssen erschöpft. Vorwärts blieb bei seinem Ein-Tor-Abonnement aus den letzten Kämpfen, obwohl es gerade die rot-gelbe Elf noch einige Male vor den Füßen hatte, das Ergebnis zu erhöhen und damit beide Punkte zu gewinnen. Das war aber auch alles, was auf dem Notizblock zu vermerken sich lohnte, abgesehen von dem Kopfball Wrobels nach einer Schröter-Flanke, der in blitzschneller Reaktion von Jacobs unter der Latte herausgefischt wurde.

Mir bleibt nun nur noch von dem bedauerlichsten Mißgeschick zu berichten übrig, das Wirth betroffen hat, als er kurz vor Halbzeit mit einer Fleischwunde oberhalb des Knöchels vom Platz geführt werden mußte. Erfreulicherweise scheint diese Verletzung nicht so schlimm zu sein, wie sie zunächst aussah, aber einige Zeit wird der sympathische Linksaußen unserer Auswahlmannschaft aussetzen müssen. Es wäre falsch, Michael schuldig zu sprechen, es sei denn, man verurteilt die Spielweise grundsätzlich, die keine Rücksicht gegen sich selbst kennt und die der Dynamo-Verteidiger verkörpert. Das zu verurteilen würde nämlich bedeuten, der bei unseren meisten Spielern noch anzutreffenden Weichheit und Angst vor dem Körpereinsatz das Wort zu reden.

Wir wollen doch gerade, daß diese Weichheit und Ängstlichkeit überwunden wird. Wir brauchen allerdings eine geschickte O b e r k ö r p e r härte und kein hemmungsloses Dazwischenfunken mit den Beinen. Da damit die bemerkenswerten Einzelheiten, die ich mir notiert hatte, ausgeschöpft sind, muß ich nun zur allgemeinen Einschätzung kommen. Es ging den Spielern diesmal fast alles verquer, obwohl sie sich alle redliche Mühe gaben. Sie machten zumeist das, was sie gerade nicht machen sollten. Spielten sie direkt, lag gar keine Veranlassung vor. Hielten sie den Ball, standen die Mitspieler in günstigen Positionen ungedeckt.

Auch bei reichlichem Nachdenken bleibt nichts übrig, das man im Positiven wie im Negativen auswerten könnte als Nutzen für die Zukunft. Die Ursache dafür kann ich nur darin erblicken, daß das Punktspiel der beiden Berliner Clubs gegeneinander zwischen zwei Spielen miteinander als Stadtmannschaft lag. Das Spiel vorher gegen Vasas Budapest sah eine gute Leistung der  Vorwärts-Dynamo-Kombination, so daß ich gar keine Bange habe, wenn es am heutigen Dienstag vor dem Eintreffen der Friedensfahrer in der deutschen Hauptstadt gegen den derzeitigen Spitzenreiter der CSR, Dynamo Prag, geht. Betrachten wir deshalb das Lokalderby als etwas Gestorbenes, das keinen Nachruf wert ist.

ZSK Vorwärts Berlin:
Jacobs; Wachtel, Unger, Eilitz; Gier, Reichelt; Assmy, Kohle, Kalinke, Meyer, Wirth (41. Küchler)
SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael; Schoen, Haufe; Maschke, Thiemann; Schneider, Hänsicke, Wrobel, Schröter, Matzen

1:0 Wirth              ( 7.)
1:1 Schröter           (16.)

Schiedsrichter:        Green (Limbach)
Zuschauer:             18.000

Rolf Gabriel, Neue Fußballwoche, 08.05.1956