26. Spieltag 1954/55: SC Dynamo Berlin - SC Wismut Karl-Marx-Stadt 0:0

Der Wind drückte den Stempel auf / Bei Wismut fehlte die Harmonie / Dynamos Außenläufer dominierten
Wismut Karl-Marx-Stadt hatte durch die letzten Niederlagen der Erfurter Turbine noch einmal eine Chance erhalten, unmittelbar um den Kampf um den Titel eines Fußballmeisters der Deutschen Demokratischen Republik einzugreifen, eine Chance, an die die Kumpel aus dem Erzgebirge vor Wochen nicht mehr glaubten. Ein Beweis mehr, daß man nie aufgeben darf bevor der Schlußpfiff ertönt. Haben sich die Erfurter am Sonntag vor acht Tagen geärgert, daß die Meisterschaft noch nicht wieder gewonnen werden konnte, so freuten sich die Berliner, doch noch zu einem spannungsgeladenen Punktekampf zu kommen. Mit dieser Erwartung erschienen sie auch im Walter-Ulbricht-Stadion. Dazu kam noch, daß es für beide Mannschaften nur eine Parole geben konnte: Angreifen und noch einmal angreifen. Das galt für Wismut, weil nur ein Sieg bei gleichzeitiger Niederlage Turbines die Meisterschaftswünsche verwirklicht hätte und für Dynamo, weil es unbelastet in die neunzig Minuten gehen konnte.

Es lief aber nicht so, wie es die Zuschauer, die Trainer und die Spieler wünschten und wollten. Maßgebend dafür war in erster Linie der böige Wind, der sich stärker erwies als das Wollen der Aktiven. Er drückte dem Geschehen sein Gepräge auf. Die Spieler könnten sich nicht mit ihm abfinden. Sie verstanden es nicht, den Wind mit in ihre Berechnungen einzubeziehen. Das ist auch der Grund, daß die Zuschauer sich in ihren Erwartungen enttäuscht sahen und, als eine halbe Stunde vor dem Ende zu allem Überfluß noch ein Regenguß einsetzte, halb erfroren das Stadion zu verlassen begannen. Als Wismut den Anstoß mit dem Wind vollzog, hatte es die Möglichkeit, zu einem beruhigenden Vorsprung zu kommen. Die ersten Minuten versprachen dies auch. Stürmisch wurde das von Klemm gehütete Dynamotor berannt. Da das Zusammenspiel nicht gleich klappte, Tröger sich im Einzelspiel immer wieder an der klug formierten Abwehr festrannte, trat bei den Karl-Marx-Städtern eine Nervosität in Erscheinung, die sie dann auch während des ganzen Spiels nie ablegten.

Die Aktionen, bei denen der Ball über mehrere Stationen lief, sind an den Fingern beider Hände abzuzählen. Insgesamt gesehen spielte Dynamo die überlegenere Partie. In den letzten zwanzig Minuten rollte es auch in der Vorderreihe wie gewohnt, weil der Ball flach gehalten wurde. Tore konnten in dieser Phase nur deshalb nicht erzielt werden, da es an einem Vollender mangelte. Dazu waren Matzen und vor allem Holze diesmal nicht in der Lage. In der Hintermannschaft hatte Trainer Petzold eine kluge Veränderung vorgenommen. Er stellte Michael auf rechts und Haufe auf links und hemmte damit erfolgreich das Flügelspiel der Gäste. Die Härte Michaels behagte Satrapa nicht und Haufe war schnell genug, um die Flankenläufe Freitags zu stoppen oder wenigstens zu hindern. Das Übergewicht aber besaß erstaunlicherweise Dynamo in den Außenläufern! Fast fehlerfrei in Aufbau und Abwehr Maschke. Emsig und erfolgreich Usemann, der eines seiner besten Spiele lieferte. Mit dieser Leistung kamen die Gebrüder Wolf nicht mit.

Wenn sie auch sehr bemüht waren, ihre Paßbälle kamen selten richtig zum eigenen Mann. Zudem waren sie mehr mit der Abwehr beschäftigt, als es ihnen sicherlich lieb war. Wie das 0:0 beweist, hat die Hintermannschaft ihre Pflicht getan, mehr war auch nicht unbedingt nötig. Nur wenige Male brauchte Thiele ernsthaft einzugreifen und das tat er sicher. Das Fausten allerdings beherrscht er noch nicht. Seine beste Leistung vollbrachte er, als er einen Weitschuß Michaels aus der Ecke fischte. Hart und unerbittlich die Zweikämpfe zwischen Tröger und Schoen. Da der Willi viel auf eigene Faust versuchte und versuchen mußte, war ein Durchkommen bei dem robusten Berliner Mittelverteidiger sehr schwer. Man kann keinen über den anderen stellen. Daß beide zu unseren Besten gehören, haben sie wieder einmal bewiesen. Wismut muß sich in diesem Jahr wieder mit dem zweiten Platz begnügen, wie es vor fast zwei Jahren der Fall war, als im gleichen Stadion im Endspiel gegen den gleichen Gegner 2:3 verloren wurde. Für beide Mannschaften gilt es nun, sich weiter zu festigen, um im nächsten Jahr erfolgreicher nach dem Titel zu greifen. Die spielerischen Mittel dazu sind vorhanden.


SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael, Schoen, Haufe; Maschke, Usemann; Holze, Schröter, Schlosser, Möbius, Matzen
SC Wismut Karl-Marx-Stadt:
Thiele; Glaser, Müller, Bauer; K. Wolf, S. Wolf; Freitag, Kaiser, Tröger, Günther, Satrapa

Schiedsrichter:        Kastner (Dahlewitz)
Zuschauer:             12.000

Rolf Gabriel, Neue Fußballwoche, 26.04.1955