25. Spieltag 1954/55: BSG Rotation Babelsberg - SC Dynamo Berlin 4:1

In der Abwehr dicht, im Angriff locker / Das war das Rezept für klaren Sieg / 21 scharfe Schüsse auf das Dynamo-Tor wurden gezählt
Die vorletzte Meisterschaftsrunde unserer Oberliga wurde für zwei Mannschaften zum Schicksalstag. Während SC Chemie Halle-Leuna in Leipzig mit 0:2 unterlag und damit die höchste Spielklasse verlassen muß, schlug Rotation Babelsberg den SC Dynamo Berlin mit 4:1 und sicherte sich so den Erhalt der Oberliga. Babelsberg ging in jeder Hinsicht in diesem entscheidenden Kampf wohlvorbereitet: geistig, körperlich und moralisch. Von welcher Seite aus man die Dinge, die sich auf dem Musterrasen des Karl-Liebknecht-Sportplatzes abspielten, auch betrachtete, das Ergebnis mußte und konnte nur lauten: Sieger Rotation Babelsberg. Ziehen wir drei Faktoren zur Veranschaulichung heran.

1. Stellungsspiel

In der Abwehr dicht, im Angriff locker, so lautete die Parole bei den Gastgebern. Umgekehrt war Merkmal des Spiels der Gäste: In der Abwehr locker, im Sturm eng. Jeder Stürmer von Dynamo hatte einen Bewacher, der ihm auf Schritt und Tritt folgte, dem er sich nicht zu entziehen vermochte. Das galt ganz besonders für die beiden Techniker auf den Halbstürmerposten, die nie Gelegenheit hatten, sich dem Zugriff von Tietz und Adam zu entziehen. Aber auch Matzen und Schlosser fanden keinen Meter freien Raum, ohne von Simon und Bartholomäus (letzterer übrigens der stärkste Verteidiger des Spiels) genau markiert und sofort angegriffen zu werden. Allein Holze entzog sich mitunter durch kluges Zurückweichen nach hinten und Ausweichen in die Mitte dem Zugriff seines Gegenspielers. Von anderer, der Dynamo-Warte aus gesehen, wäre zu sagen, daß die Stürmer der Gäste von sich aus diesmal auch zuwenig sich des freien Raumes, sowohl durch weite Pässe als auch durch schnelles Ausweichen, bedienten. Schon allein in dieser Beziehung trat der Angriff von Rotation ganz anders in Erscheinung. Nie fühlte sich ein Stürmer an seinem Platz gebunden, oft halfen Schöne und Giessler I in der Abwehr aus, unterstützten ihre Läufer im Wechsel von der Defensive zur Offensive und erschienen dann plötzlich oft wieder in den Positionen, wo sie der Gegner nicht erwartete. Jedenfalls konnte die Abwehr von Dynamo das Prinzip der genauen Manndeckung zu keinem Zeitpunkt in die Tat umsetzen.

2. Zweikämpfe

Fußball ist bekanntlich ein Mannschaftsspiel, dennoch sind nun einmal oft die Ergebnisse verschiedener Zweikämpfe von entscheidendem Einfluß auf den Verlauf der 90 Minuten. Und es gab in dieser Hinsicht einige "Paarungen" zu beobachten, bei denen fast immer ein Babelsberger Spieler die Oberhand behielt. Greifen wir einige Beispiele heraus: da blieb z. B. Herbert Schoen gegen Paul Philipp nicht immer Sieger. Ja, der Babelsberger Mittelstürmer zog mehrfach an seinem Gegenspieler vorbei, wie z. B. vor dem ersten Treffer, der in Vorbereitung und Vollendung fast allen das Werk des langen Philipp war. Da bemühte sich Usemann meist vergeblich, Hans Schöne zu markieren. Der Rechtsaußen entzog sich immer wieder seinem Zugriff. Da waren Tietz und Adam von keinem Trick der Techniker Möbius und Schröter abzuschütteln und wurden mit zunehmender Spieldauer mehr und mehr zum Beherrscher über ihre Gegner.

3. Torschüsse

Die Babelsberger Stürmer bewiesen weit bessere Schußkraft als ihre Kollegen vom SC Dynamo. Nach der Zahl der genau gezielten Torschüsse hätte Babelsberg noch weit höher gewinnen können, wenn nicht Heinz Klemm im Tor von Dynamo in so hervorragender Form gewesen wäre: Von der Dynamo-Vorderreihe wurde nur selten und wenn, dann meist schwach und ungenau geschossen. Auf der anderen Seite verzeichnet der Notizblock des Berichterstatters, der nicht einmal Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, 21 scharfe und genaue Schüsse auf das Dynamo-Tor: 1:0 durch Philipp, nachdem Klemm den ersten Schuß reaktionsschnell abgewehrt hatte. Zwei Weitschüsse von Selignow und Philipp (8.). Giessler I mit dem rechten Fuß aus 20 Metern und Nachschuß von Philipp, beide von Klemm gehalten (23.). Schrägschuß von Schöne auf steiles Durchspiel Giessler I, Giessler II, Philipp, 20-Meterschüsse von Selignow (22.). Giessler I erzielt das 2:0 (24.). Nachschuß von Philipp, Klemm rettet im Hechtsprung (32.). 3:0 durch Selignow flach in die rechte Ecke (46.). 16 Meter von Schöne (52.). 25 Meter von Schöne (67.). 20 Meter von Schöne (71.). Zweimal Giessler I (73.). Tollen Scharfschuß von Schöne faustet Klemm zurück, Giessler II schießt hoch nach, Torwart lenkt zur Ecke (75.). Herrliches Tor von Giessler II direkt aus der Luft unter die Latte (77.). Noch zwei Weitschüsse von Schöne (79. und 81.).


BSG Rotation Babelsberg:
Marquardt; Simon, Bartholomäus, Hagen; Tietz, Adam; Schöne, Selignow, Philipp, Giessler I, Giessler II
SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael, Schoen, Haufe; Maschke, Usemann; Holze, Schröter, Schlosser, Möbius, Matzen

1:0 Philipp            ( 6.)
2:0 Giessler I         (24.)
3:0 Selignow           (46.)
3:1 Holze              (69.)
4:1 Giessler II        (77.)

Schiedsrichter:        Reinhardt (Berlin)
Zuschauer:             14.000

Lothar Nagel, Neue Fußballwoche, 19.04.1955