20. Spieltag 1954/55: SC Dynamo Berlin - SC Aktivist Brieske-Senftenberg 4:0

Nach fünf Niederlagen wieder ein Sieg / Sturmregie in der ersten Halbzeit entscheidend / Schröter als Einfädler
Um eine Mannschaft mit einer so starken Besetzung wie sie der Sportclub Dynamo aufzuweisen hat, braucht man eigentlich keine Sorge zu haben, wenn sie durch unglückliche Umstände wirklich einmal in das Abstiegsfeld geraten sollte. Man erwartet von ihr, daß sie die notwenige Kraft aufbringt, sich aus solcher Situation wieder hinauszuretten. Dennoch ist es für keine Mannschaft ratsam, schon gar nicht in einem so ausgeglichenen Feld, wie es dieses Jahr unsere Oberliga bietet, allzulange mit einer Zusammenraffung aller Kräfte zu warten. Nachdem der SC Dynamo nun schon eine ganze Serie verlorener Spiele hinter sich hat, ist es schon psychologisch dringend notwendig, endlich einmal durch einen positiv verlaufenden Kampf für den nötigen Aufschwung und Zusammenhalt in der Mannschaft zu sorgen. Es ist selbstverständlich, daß sich die Dynamo-Mannschaft und ihre Trainer schon seit einiger Zeit mit solchen Gedanken befassen, und es ist daher kein Wunder, wenn sie diesmal vom Anstoß an keinen Zweifel darüber aufkommen ließen, sich diesmal von einer anderen Seite zeigen zu wollen.

Man spürte, daß Dynamo nicht auf dem Platz kam, um vielleicht einen Punkt retten, sondern ganz klar und unmißverständlich zu siegen. Die Voraussetzungen für einen Sieg kann aber letzten Endes nur in der Devise "Stürmen, Stürmen" liegen. Mit dieser Einstellung trafen sie dazu noch auf einen Gegner, der vom Trainer die Anweisung bekommen hatte, verhalten zu spielen, auf Sicherung des Tores bedacht zu sein. Das kann natürlich richtig sein, wenn der Gegner solche Abwehrmauer nicht zu durchbrechen versteht. In diesem Falle schien es uns jedoch eine unglückliche Anweisung zu sein, weil gerade an jenem Tage der Dynamo-Sturm so drangvoll, variantenreich und taktisch klug spielte, daß man die Verteidigung wohl besser durch eigenes forciertes Sturmspiel entlastet hätte. Der überragende Lenker und Einfädler im Dynamo-Angriff war "Moppl" Schröter.

Es ist hier notwendig, weniger sein Können in individuellen Aktionen hervorzuheben, als die vortreffliche Art, seine gesamte Vorderreihe in Szene zu setzen, immer wieder die Außenstürmer mit bedachten Vorlagen zum Einsatz zu bringen. Man kann auch nicht darüber hinwegsehen, daß der Einsatz von Möbius die Bindung und Harmonie der Sturmaktionen unbedingt förderte. Dadurch, daß die Spielaktionen ständig verlagert wurden, daß die Außen von den Innenleuten fleißig bedient wurden und sie andererseits unentwegt mit Flankenbällen in den Strafraum drangen, wurde die gar nicht so schlechte Briesker Abwehr auseinandergerissen und konnte nur mit Mühe und Not die auftretenden Lücken schließen. Bei alledem müssen wir noch bedenken, daß Matzen diesmal ein ausgesprochener Pechvogel war. So sehr er sich Mühe gab, blieb es gerade ihm "vergönnt", etliche der torreifsten Situationen durch irgendwelche widrige Umstände nicht auswerten zu können.

Eine Änderung der Briesker Taktik wurde unvermeidlich, nachdem Holze und Möbius eine 2:0-Führung zusammengeschossen hatten - beim zweiten Tor beging allerdings Jünemann den unverzeihlichen Fehler, sich nahe der Eckfahne mit Matzen "herumzuschlagen", der dann nur zu Möbius vor das leere Tor zurückzuflanken brauchte. Doch es war schwer, sich aus der ungewollt zur Belagerung auswirkenden Defensive heraus zu einem geordneten Angriff zu finden. Es fehlte allerdings ein Regisseur, eine Spielerpersönlichkeit, wie sie Dynamo in Schröter und in Herbert Schoen besaß. Lemanczik spielte bei aller Würdigung seiner technischen Fähigkeiten viel zu eigensinnig, Franke und Weist machten es nicht viel besser. Die Aktionen waren nicht genug aufeinander abgestimmt, oft auch zu umständlich.

Herbert Schoen ließ diesen Angriff kaum zur Entfaltung kommen und stand in der schwersten Zeit, in der Brieske mit Gewaltaktionen noch einmal alles auf eine Karte setzen wollte, immer wieder auf dem rechten Platz, um Brieskes Stürmer scheitern zu lassen. Vielleicht täuscht das 4:0-Resultat etwas über den wirklichen Spielverlauf hinweg. In der zweiten Halbzeit war Brieske dem SC Dynamo ein ebenbürtiger Gegner und besaß auch etliche Chancen, Tore zu schießen, während Jünemann gegen eine unversehens ins Tor gerutschte Flanke Schröters machtlos war, weil er gerade in diesem Augenblick auf dem glatten Boden ausrutschte. Entscheidend blieb jedoch die beeindruckende erste Halbzeit Dynamos, und sie rechtfertigt auf Grund der genannten Faktoren diesen klaren Sieg durchaus.

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Haufe, Schoen, Bock; Maschke, Usemann; Holze, Schröter, Schlosser, Möbius, Matzen
SC Aktivist Brieske-Senftenberg:
Jünemann; Hentschel, Ratsch, John; Auras, Lehmann; Weist, Lemanczik, Gruner, Franke, Schwandt

1:0 Holze              (16.)
2:0 Möbius             (24.)
3:0 Schröter           (69.)
4:0 Holze              (89.)

Schiedsrichter:        Paul (Dessau)
Zuschauer:             4.000

Götz Hering, Neue Fußballwoche, 01.03.1955