16. Spieltag 1954/55: SC Dynamo Berlin - BSG Motor Zwickau 1:5

Dynamo-Zusammenbruch in den letzten Minuten / Unger ein großartiger Stopper / Chancen der Unterlegenen vor 1:2 und 1:3
Das Spiel auf leichter Schneedecke nahm bereits in den ersten Minuten einen anregenden Verlauf. Beide Gegner vergaben je eine großartige Chance und zeigten ideenreiche, geschickte Kombinationen. Dynamo gelang dann überraschend das erste Tor nach einer zügigen Operation aus der Deckung heraus. Bethnarek schlug Schoens Kopfball dem lauernden Holze zu, der zögerte einen Moment, kam dann frei und setzte den quirligen Hofmann ein. Dessen genauer Paß brachte Pinske in aussichtsreiche Position. Der veranlagte junge Halblinke übersah auch sofort die günstige Situation. Gegen seinen placierten Schuß hatte Rolf Baumann keine Chance. Man spürte es jedoch mehr und mehr, wie das Spiel der Berliner in Einzelaktionen zerriß. Die neuformierte Elf rang nach Harmonie. Es fehlte jenes blinde Verstehen, das den Dynamo-Leuten gerade in den letzten erfolgreichen Spielen so klare Vorteile brachte. Nie zuvor sah man besser, was Möbius' kluges Spiel für die sonst so zügigen, deckungsöffnenden Angriffsoperationen bedeutete.

Matzen wurde am meisten in Mitleidenschaft gezogen. Karli Holze fühlte sich in Mittelstürmerposition auf diesem Boden gar nicht wohl, "Moppel" Schröter, sehr bald an Wirkung verlierend, suchte verzweifelt seinen vorgeschobenen Außen zu weiträumigem Spiel. Dabei machte der Neuling Hofmann einen ausgezeichneten Eindruck, dribbelte, stürmte und spielte voll mitreißendem Schwung. Anschluß an unseren Auswahlspieler fand er leider nur wenige Male, er drängte auch allzuoft zur Mitte. Vielleicht wäre er an Holzes Stelle erfolgreicher gewesen. Von dem eingespielten rechten Dynamo-Flügel hätte man wohl gleichfalls mehr erwarten können. Mehr vom Spiel schon bis zur Halbzeit hatte ohne Zweifel die technisch guten Fußball bietende Zwickauer Elf, allerdings rannte sich der so ballgewandte Innensturm vorerst allzusehr in hemmendem Kurzpaß fest. Es fehlte dem Spiel der Gäste schon aus dem Mittelfeld heraus die Zügigkeit, um höhere Wirkung zu erzielen.

Ehe sich der Ballführende zum Abspiel entschloß, oft aber auch, ehe seine Nebenleute den freien Raum erliefen, hatte sich der Gegner bereits formiert. Selten nur sahen wir den steilen Paß in die Gasse, nicht oft genug spielte man die schnellen und eifrigen Außen auf ihren Positionen an. Sie drängten so auch noch in die Mitte. Eine Großchance wurde in der 24. Minute vergeben, als Kaiser von links gefährlich nah vor das Tor flankte. Die Motor-Stürmer hatten keinen sicheren Stand auf dem glatten Schnee, um diesen Ball einlenken zu können. Die zweite Minute der zweiten Halbzeit brachte dann für Motor das hochwichtige Ausgleichstor. Bei einer Kaiser-Flanke tauchte Meinhold blitzschnell vor dem überraschten Klemm auf und schnippelte den Ball über die Linie. Jetzt schien Dynamo es darauf anzulegen, wenigstens noch das Unentschieden zu halten. Vom Sturm sah man kaum noch etwas. Dennoch hatte Dynamo in der 62. Minute die große Chance, erneut in Führung zu gehen und das Steuer herumzureißen.

"Moppel" Schröter wartete mit dem Ball am Fuß vor seinem Gegenspieler Kluge, der im übrigen zumeist hinter dem energisch aufräumenden Unger sicherte und so unserem Auswahlspieler viel Raum ließ, bis der oft gefährlich vorstoßende Maschke links von ihm in die Gasse lief. Dann kam ein kurzer Kick mit dem Hacken, der Dynamo-Läufer feuerte aus dem Lauf ein unheimliches Geschoß ab, das an den Pfosten krachte und eine gefahrvolle Situation schuf. Sie ging ungenutzt für Dynamo vorüber. Im Gegenstoß drückte Meinhold eine Flanke von Franz mit dem Kopf ein: 1:2! Auch vor dem nächsten Zwickauer Tor stand Dynamo vor einem zweiten Erfolg. Matzens Schuß aber hielt Baumann. Mehr und mehr erwies sich dann das an diesem Tage offensichtliche spielerische Übergewicht der Gäste. Bei einer gefahrvollen Situation rutschte Herbert Schoen, der mit dem Boden wie viele seiner Kameraden ernste Schwierigkeiten zu haben schien, weg.

Friedrich nahm die Vorlage von Franz ruhig auf, schoß den Ball im hohen Bogen über den herauslaufenden Klemm ins Tor. Noch einmal taute Dynamo dann auf, gab sich aber dabei Blößen, die der kluge Gegner kaltblütig ausnutzte. Fast ohne Gegenwehr schoben die Zwickauer Spieler den Ball bis zum gegnerischen Tor. Klemm warf sich verzweifelt diesem verwirrenden Ansturm entgegen, vermochte aber die beiden Verlusttore auch nicht zu verhindern. Ohne Zweifel siegte mit Motor Zwickau die harmonischer wirkende Mannschaft. Als die Stürmer sich in der zweiten Hälfte schneller vom Ball trennten und steiler spielten, zeigte die nicht immer sichere Dynamo-Deckung erhebliche Wirkung. Dagegen dürfen die Zwickauer auch mit ihrer Hintermannschaft zufrieden sein, in der Unger eine sichere, überlegte Partie lieferte, Kluge sich weit zurückzog. dafür aber Schneider sehr geschickt seinen Sturm unterstützte.

Dynamo wird in der neuen Formation erst nach und nach alte Stärke und Festigkeit gewinnen. Hofmann war zumindest in der ersten Hälfte insgesamt noch der wirkungsvollste Stürmer, auch Pinske zeigte sein Talent, ließ jedoch frühzeitig nach und vermochte es nie, den an den Vorsonntagen so kreuzgefährlichen Matzen richtig ins Spiel zu bringen. Mehr als viele andere Außenstürmer aber hängt der schnelle Hannes davon ab. In der Abwehr war Herbert Schoen noch nicht von früherer Zuverlässigkeit, wenn auch noch die stärkste Stütze. Verständlicherweise lagen auch Hans Kreische die Bodenverhältnisse nicht. Der junge Punt besitzt Forsche, hatte auch einen guten Start, verlor dann aber mehr und mehr den Überblick. Veranlagte Einzelspieler sind also vorhanden. Man muß sie jedoch erst zu dem formen, was Dynamo vorher war. Das gelingt nicht auf Anhieb.

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Punt, Schoen, Bethnarek; Kreische, Maschke; Hofmann, Schröter, Holze, Pinske, Matzen
BSG Motor Zwickau:
Baumann; Witzger, Unger, Hertzsch; Schneider, Kluge; Meinhold, Friedrich, Franz, Espig, Kaiser

1:0 Pinske             ( 5.)
1:1 Meinhold           (47.)
1:2 Meinhold           (82.)
1:3 Friedrich          (73.)
1:4 Espig              (85.)
1:5 Espig              (88.)

Schiedsrichter:        Köhler (Leipzig)
Zuschauer:             6.000

Egon Wallmuth, Neue Fußballwoche, 25.01.1955