15. Spieltag 1954/55: SC Dynamo Berlin - SC Chemie Halle-Leuna 3:2

Schröter, Möbius und Matzen schufen Basis zum Sieg / Aber in der zweiten Halbzeit hatte Chemie starke Reserven / Mit Herbert Schoen wieder sichere Deckung
Wie überall auf den Plätzen unserer Republik hatten auch die beiden Mannschaften des Berliner Punktekampfes in der Oberliga sehr viele Schwierigkeiten mit den tückischen Bodenverhältnissen. Anhaltender Regen hatte die schneebedeckte Rasenfläche in einen morastigen und glatten Untergrund verwandelt, auf dem die Spieler nur unter äußerster Mühe Stand fanden. Schon bald nach dem Anpfiff waren Sie dreckverschmiert und die Jerseys über und über durchnäßt. Es wäre vermutlich zweckmäßiger gewesen, wenn das vorher ausgetragene und von Dynamo sehr überlegen 7:1 gewonnene Reservetreffen ausgefallen wäre. Es gebührt den Aktiven alle Anerkennung, fair den unter diesen widrigen Umständen geführten Kampf, der gutes Niveau erreichte und sich auf normaler Spielfläche vermutlich zu einer Auseinandersetzung allererster Güte entwickelt hätte. So aber wurden viele Kombinationsansätze auf beiden Seiten schon durch die Wasserpfützen vorzeitig gestoppt.

Die Kontrolle des Leders war überaus schwierig. Deshalb gebührt besonders Dynamo ein Lob für die ausgesprochen gute Leistung in der ersten Halbzeit. Die Mannschaft tat das einzig Richtige: sie ließ den Ball laufen und ersparte sich kräftezehrende Dribblings. Sehr geschickt wählte der Angriff zumeist auch die Ränder des Spielfeldes zum Raum der Vorstöße, weil dort der Platz noch die besten Bodenbedingungen aufwies. So war Dynamo im ersten Abschnitt meist feldüberlegen. Die kleinen Stürmer Schröter und Möbius, der ungewöhnliche Tatendrang des erneut in ausgezeichneter Form sich präsentierenden Matzen schufen die Basis für den 3:0-Vorsprung bis zur Pause, der innerhalb von sieben Minuten herausgeholt wurde. Zu dieser Zeit wirkte der Chemie-Sturm recht umständlich und langsam, zumal auch der überragende Rappsilber mit seinem erheblichen "Kampfgewicht" zu dem glatten Geläuf keine richtige Einstellung fand. Kreische als sein unmittelbarer Bewacher konnte es sich leisten, oft im Sturm oder direkt dahinter aufzutauchen und die von der gegnerischen Deckung abgewehrten Bälle wieder seinen Vorderleuten zuzuleiten.

Das verstanden übrigens beide Läufer außerordentlich gut; sie hatten den richtigen Riecher und die richtige Position, um immer dort zu stehen, wo der Ball nach abgeschlagenem Angriff hingelangte. Dynamo gestaltete also in der ersten Halbzeit die Partie klar zu seinen Gunsten. Auch in der Hintermannschaft wurde sehr sicher und risikolos gespielt. Im Deckungszentrum stand mit dem wiedergenesenen Herbert Schoen ein Mann überdurchschnittlichen Formats mit großem Kämpferherzen. Seine Knöchelverletzung ist nun ausgeheilt. Schildern wir noch kurz die drei Tore. Holze besorgte den ersten Treffer nach einer musterhaften Kombination Schlosser-Schröter-Möbius. "Moppl" hatte im Strafraum Möbius klassisch freigespielt, dessen Paß kam direkt zu Holze, der mit der Innenseite des rechten Fußes verwandelte. Matzens 2:0 war ebenso gekonnt. Im Strafraum foppte er Torwart Knust, dem es noch an Erfahrung und Stellungsgeschick mangelt, der aber sehr gut faustet.

Am rechten Pfosten warf sich der Hüter in der Annahme, Matzen würde schießen; der aber hatte nur getäuscht und hob das Leder über Knust hinweg ins Netz. Das dritte Tor besorgte wieder Holze, ein haltbarer Schuß aus der Drehung abgefeuert schlug in die linke Ecke. Hier hatte sich der Hallenser Schlußmann offensichtlich verschätzt. Er glaubte wohl, der Ball würde am Tor vorbeigehen. Wer mit einer Zweitauflage des denkwürdigen 4:0-Silvesterkampfes Dynamo-Vorwärts rechnete, sah sich allerdings getäuscht. Chemie Halle, zur Pause ebenfalls mit 0:3 im Rückstand liegend, konterte, und zwar erfolgreich. Herbert Rappsilber wurde an die Stelle des Mittelverteidigers beordert und stand dort viel richtiger an diesem Tage als im Angriff. Er verlieh der Deckung mit seinem ruhigen Spiel Halt und Sicherheit Das war schon eine wesentliche Voraussetzung dazu, daß Dynamo nicht mehr so stark zur Geltung kam wie in der ersten Halbzeit, da nun auch ungenauer zugespielt wurde.

Dann schwang sich der Sturm zu einer enormen Leistungssteigerung auf, immer wieder angetrieben von den beiden Läufern Ebert und Schleif, von denen der einarmige rechte Läufer trotz des gerade für ihn so schlechten Untergrundes immer besser herauskam. Aber es langte doch nicht mehr zum Unentschieden, das man den Hallensern auf Grund ihrer starken Kondition und großen Energie gerne gegönnt hätte. Wawrzyniak nutzte in der 61. Minute einen Moment der Unachtsamkeit des ansonsten untadeligen Klemm aus und drückte aus geringer Entfernung die Kugel über die Linie, als der Dynamo-Hüter sich falsch postiert hatte, und auf einen von Mertin ausgeführten Freistoß an der rechten Strafraumspitze schlug der nach vorn geeilte Rappsilber im Nachschuß das Leder ins Netz. Fast hätte Chemie an Stelle des Ausgleichs in den letzten, noch einmal starken Minuten der Berliner, den vierten Treffer hinnehmen müssen.

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Haufe, Schoen, Usemann; Kreische, Maschke; Schlosser, Schröter, Holze, Möbius, Matzen
SC Chemie Halle-Leuna:
Knust; Strichsner (46. Gräber), Mertin, Schäller; Ebert, Schleif; Hofmann, Wawrziniak, Schmidt, Rappsilber, Hager

1:0 Holze              (35.)
2:0 Matzen             (40.)
3:0 Holze              (42.)
3:1 Wawrziniak         (61.)
3:2 Rappsilber         (80.)

Schiedsrichter:        Schaub (Leipzig)
Zuschauer:             4.000

Heinrich Müller, Neue Fußballwoche, 18.01.1955