13. Spieltag 1954/55: SC Dynamo Berlin - BSG Fortschritt Meerane 2:1

Trainer Haueisens Bilanz: sechsmal 1:2! / Aber mit Fortschritts Zweckspiel drohte Dynamo zweite Berlin-Niederlage
"Diese Elf hat Dynamo geschlagen, so fragten sich die Zuschauer verwundert", stand über dem letzten Bericht der "Fu-Wo" vom Spiel Rotation Babelsberg gegen Fortschritt Meerane. Jawohl, Babelsberg hatte Dynamo die erste Berlin-Niederlage beigebracht, eindeutig mit 3:0 Toren. Und Babelsberg hat, wenn ich mich recht erinnere und richtig gelesen habe, mit viel Glück gegen Meerane gewonnen. Mit einigem Glück aber auch hat gestern im Walter-Ulbricht-Stadion Dynamo sein zweites Spiel in der neuen Heimat Berlin siegreich überstanden. Und mit Pech hat Fortschritt Meerane sein sechstes Spiel hintereinander mit dem gleichen Ergebnis, nämlich mit 1:2 Toren, verloren. Es ist gewagt, im Fußball von Glück und Pech zu sprechen. Diese gern verschwiegenen Begriffe sind aber in unserer heutigen Kritik und nach dem Spielverlauf doch wohl am Platze.

Der knappe Sieg Dynamos offenbarte so klare spielerische und mannschaftliche Schwächen, daß ich mich während des Spieles verschiedentlich fragen mußte, ob das die Dynamo-Elf ist, die sich wegen ihres wirklichen spielerischen Könnens so viele Sympathien erwarb? Irgendwie steckt der Wurm drin. Irgendwie stimmt etwas nicht. Es ist Sand im Getriebe. Man verzettelt sich im Mittelfeld, man bevorzugt den flachen Querpaß, man vertändelt sich zu sehr, man ist zu ballverliebt. Und kommt dann endlich die langersehnte Steilvorlage, erreicht sie den Mitspieler nur ungenau. Ganz abgesehen davon, daß Maschke und auch Kreische immer wieder hohe Bälle in den Strafraum schlagen. Und Dynamos wirkliche Stärke lag immer im konsequenten Spiel über die Flügel. Diese Außenstürmer, Holze und Matzen, in ihrer Art mit Hänsicke die dynamischsten des Dynamosturmes, müssen mit weiten, gassenöffnenden Pässen auf die Reise geschickt werden. Das hat Dynamo vergessen und nicht nur in seinem gestrigen Spiel.

Man könnte diese Schwäche mit mangelnder Kondition erklären. Man könnte, aber das ist nicht so! Die Wurzel des Übels scheint vielmehr in der Überheblichkeit auf den Schlüsselpositionen des Mittelfeldes, also bei Läufern und Halbstürmern zu liegen. Lediglich Schröter bewies 55 Minuten lang, daß er sich um diese plötzlich aufgetretenen Schwächen Gedanken gemacht hat. Doch als er zurücksteckte, als sein Tempo nachließ, da war Dynamo mit seinen spielerischen Mitteln restlos am Ende, zumal Möbius gar nichts mehr von seinen Zubringer-Qualitäten, seinen früher so oft bestaunten motorischen Kräften erkennen läßt. Das Zuspiel des Halblinken landet meist in den Beinen des Gegners, sein Dirigieren aus der Tiefe, sein Wechseln mit Matzen sieht man nur noch sehr selten. Auf dem linken Flügel übrigens genauso wenig wie im ganzen Angriffsquintett. Und gerade das machte den Dynamo-Sturm so gefährlich. Auch das Fehlen von Herbert Schoen ist keine Entschuldigung für den Tiefstand der Mannschaft.

Bethnarek vertrat den "Meister des Sports" fast fehlerlos, ohne allerdings die Sicherheit auf seine Nebenleute ausstrahlen zu können, die nun einmal von der Persönlichkeit des Spielers Schoen ausgeht. Aber das hat nichts mit dem einmal geprägten Stil des Kollektivs zu tun, denn dieser Stil bestand nicht aus Kraft, Konzentration und Wucht, sondern aus einer technisch und taktischen Homogenität der gesamten Mannschaft. Und hier scheint der Faden gerissen... Anders Meerane! Trotz der Niederlage, trotz einiger Ausfälle bewies die Mannschaft auch in diesem Spiel, daß sie nicht aufstecken will, daß sie in bewundernswertem Einsatz um den Erhalt der Oberliga kämpft. Das ist um so erfreulicher, als dieser Kollektivgeist auch nach fünf aufeinanderfolgenden 1:2-Niederlagen erhalten geblieben ist.

Der Geist ist da, aber die Nerven sind schwächer geworden. Und Nerven werden auch bei den härtesten Fußballern schwächer, Wenn Fortuna eine Mannschaft verläßt. Und in diesem Spiel hat Fortuna Fortschritt wirklich verlassen. 70 Minuten des sonst niveaulosen Spiels gehörten den Gästen. Und wenn man bedenkt, unter welchen Voraussetzungen die Mannschaft in dieses Spiel ging, dann ist es um so erfreulicher, mit welcher Korrektheit sie die Niederlage hinnahm und - trotz allem - der Belastung standhielt. Freilich wurden vor dem Tor nicht mit der erforderlichen Konsequenz die sich bietenden Chancen wahrgenommen (Fischer!). Einmal allerdings mußte Kreische im letzten Moment den Ball für den hoffnungslos geschlagenen Klemm von der Linie wegbefördern und sicherte Dynamo damit das 2:1. Aber Meerane braucht nicht zu verzweifeln. In dem jungen Mittelstürmer Wagner wächst ein agiler, einsatzfreudiger und mit spielerischen Mitteln gesegneter Spieler heran.

Schade, daß ihm gerade der in der 58. Minute für Goethe hereinkommende (immer noch verletzte Flehmig) in den ersten Spielen fehlte. Mit diesem Halbstürmer würde das junge Talent gewiß noch zwingender aufspielen. Meerane bevorzugte den langen und genauen Paß, Meerane spielte bei dem starken Wind auch taktisch klüger als Dynamo. Meerane fehlte nur eines, und das sagten wir schon: das Glück! Schwache Punkte waren Löschner (den Querschuß Matzens, der in der 61. Minute zum 2:1 führte, mußte er halten), der schwerfällige Rechtsverteidiger Baumgart und der Halblinke Goethe, für den später Flehmig hereinkam. Schiedsrichter Neumann (Forst) leitete unauffällig und korrekt. Aber bei Vorteilen lieber einen Augenblick mit dem Pfiff zögern, anstatt dem Spiel mit zu frühem Pfeifen oft die spielerische Würze zu nehmen.

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael, Bethnarek, Usemann; Kreische, Maschke; Holze, Schröter, Hänsicke, Möbius, Matzen
BSG Fortschritt Meerane:
Löschner; Baumgart, Werner, Kraitzeck; Thate, Czaja; Lichtenstein, Fischer, Wagner, Goethe (58. Flehmig), Riedel

0:1 Riedel           (13.)
1:1 Schröter         (47.)
2:1 Matzen           (61.)

Schiedsrichter:      Neumann (Forst)
Zuschauer:           2.000


Herrmann Gehnes, Neue Fußballwoche, 21.12.1954