12. Spieltag 1954/55: SC Dynamo Berlin - BSG Rotation Babelsberg 0:3

Ortsderby an Ligaelf
"Diese Bank ist geplatzt", sagte neben mir Redakteurkollege Klaus Schlegel vom Sport-Echo, und den meisten Freunden des Sport-Toto in unserer Republik wird es ebenso ergangen sein: Dynamos Debüt in Berlin als Elf des neuen Sportclubs ihrer SV ist mißglückt, dennoch haben sich die Volkspolizisten die ungeteilte Sympathie der Berliner Fußballfreunde erworben. Das spürte man schon am Beifall bei der Begrüßung. Eine große Schar von Funktionären eilte auf das Spielfeld im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, unter ihnen auch ZSK Vorwärts-Trainer Kurt Vorkauf und Meister des Sports Horst Scherbaum, um den nun ebenfalls zu den Sportlern der deutschen Hauptstadt zählenden Dynamo-Fußballern ein herzliches Willkommen zu entbieten. Doch kommen wir zum Spiel. Rotation Babelsberg war wie umgewandelt. Noch in der vergangenen Woche hatten wir die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, die schlechte Form und den mangelhaften Einsatz der Vorstadt-Berliner zu kritisieren.

Im gleichen Maße freuen wir uns heute darüber, Rotation für ein völlig zu Recht gewonnenes Treffen und eine gute Gesamtleistung, ungebrochenen Siegeswillen und Kampfeseifer ohnegleichen zu beglückwünschen. "Nun können wir doch wieder hoffen", sagte sichtlich erleichtert Trainer Wieder nach dem Schlußpfiff, und bleiben seine Schützlinge bei dieser Form, dann kann man sie noch nicht einfach abschreiben. Dynamo wurde nieder g e k ä m p f t, in erster Linie, aber Rotation hat auch sehr klug g e s p i e l t! Im krassen Gegensatz zu Dynamo operierte zum Beispiel der Sturm. Immer wieder wurden die Angriffe über die Flügel vorgetragen, ohne Zögern und langes Ballhalten, geschickt die Unsicherheiten in der Dynamo-Abwehr ausnutzend, in der Herbert Schoen an allen Ecken und Enden fehlte. Ein Spieler verdient ein besonders dickes Lob: "Schupo" Tietz, der unermüdliche Kämpfer mit dem Löwenherzen.

Manch jungen Fußballer beschämte er, immer wieder seinen Angriff in Fahrt bringend und sich keine Ruhepause gönnend. Neben ihm steigerte sich auch der junge Mittelstürmer Philipp nach nervösem Beginn zu einer eindrucksvollen Leistung. Trotz seiner mangelhaften Erfahrung foppte er oftmals seine routinierten Gegenspieler mit technischen Kunststücken. Nur spritziger müßte er noch werden und einige Pfunde Gewicht zulegen. Auch auf dem rechten Flügel imponierte ein junger Mann: Harbolla, der zweifache Torschütze. Mit seiner diesmaligen Mannschaftsformation ist Trainer Wieder unbedingt eine gute Mischung gelungen, er ließ die formschwachen Marquardt und Gießler sowie Bartholomäus diesmal draußen, stellte Adam ins Abwehrzentrum und landete damit einen Volltreffer: der Stopper war mit seiner Schnelligkeit und Schnoddrigkeit auf dem glatten Boden der richtige Mann.

Dennoch wagen wir trotz des vielen Lobes für den Sieger zu behaupten, daß es auch gut und gern anders hätte kommen können. Dynamo hatte den besseren Start und lag anfangs meistens im Angriff, auch noch nach dein Führungstreffer von Harbolla, der nach einem Flankenschlag Selignows die Kugel ins Netz jagte, ohne daß Kiesewetter sich vom Fleck gerührt hätte. Wäre Dynamo der Führungstreffer gelungen, der mehr als in der Luft lag (!), das Treffen wäre vermutlich anders verlaufen. Da schlug Hänsicke schon in der fünften Minute das Leder von der Grundlinie flach und scharf direkt zu dem freistehenden Matzen, der diese Riesenchance vergab (die Babelsberger behaupten übrigens, er habe abseits gestanden) und da glitt eine Minute später Torwart Schröder der aus dem Hinterhalt abgefeuerte Schuß von Möbius aus den Händen und sprang zum Glück zur Ecke.

Schröter hatte, das kann man schon sagen, Pech, als er den Ball nach einem vom Rotation-Torhüter ungenügend abgewehrten Michael-Freistoß über die im Torraum versammelten Abwehrspieler hinweg an die Latte hob. Holze fiel das Leder direkt vor die Füße, er brachte es nicht über die Linie, schließlich prallte vom Oberschenkel Adams der Möbius-Nachschuß zur Seite weg. "Schrippe" beförderte die Kugel endgültig .aus der Gefahrenzone. Mit immer längerer Spieldauer verschwand aber die Feldüberlegenheit der Volkspolizisten, im Sturm erfolgten die Abgaben zu knapp und ungenau, es wurde zulange gezögert (Holze) und zuviel gedribbelt. Die Rotation-Deckung verstand sich ausgezeichnet darauf einzustellen und entnervte den Dynamo-Angriff mit entschlossener Härte.

Schröter als der eigentliche Lenker des Quintetts hatte den schwersten Stand. Wie ein wütender Terrier verfolgte Rotations linker Läufer Simon den kleinen Auswahlspieler, der sich einfach nicht entfalten konnte. Dynamo ging auch die konsequente Deckung und der Kampfgeist des Gegners auf die Nerven. Schlechtes Zuspiel der, Läufer und der immer wieder unternommene Versuch von erfolglosen Dribblings waren weitere Gründe für das Nachlassen des Angriffsschwungs der Volkspolizisten. Helmut Petzold: "Ich habe meiner Mannschaft vorher gesagt: Rotation ist nicht die schlechteste Elf der Oberliga, nur weil sie am Schluß der Tabelle steht. Meine Anweisungen wurden nicht befolgt, der Ball mußte viel schneller abgespielt werden. Es versagte vor allem der Sturm."

SC Dynamo Berlin:
Kiesewetter, Michael, Kreische, Schröder, Maschke, Usemann; Holze, Schröter, Hänsicke, Möbius, Matzen
BSG Rotation Babelsberg:
Schröder; Jeronymus, Adam, Hagen; Schöne, Simon; Harbolla (87. Tewes), Schuster, Philipp, Tietz, Selignow

0:1 Harbolla           (28.)
0:2 Philipp            (49.)
0:3 Harbolla           (76.)

Schiedsrichter:        Haack (Karl-Marx-Stadt)
Zuschauer:             20.000

Heinrich Müller, Neue Fußballwoche, 23.11.1954