08. Spieltag 1954/55: BSG Chemie Karl-Marx-Stadt - SC Dynamo Berlin 1:3

Dynamo auch mit 10 Mann überlegen
Die Elf des Sportclubs Dynamo Berlin wurde in Karl-Marx-Stadt herzlich begrüßt und Schüler der Jugendsportschule überreichten beiden Mannschaften vor Beginn des Punktekampfes Blumengebinde. Dynamo Berlin zeigte sich verbindlich und führte den Zuschauern ein wirklich ausgezeichnetes Spiel vor. Eines mißfiel uns genauso wie den vielen Karl-Marx-Städter Fußballanhängern, nämlich die zeitweise recht unfaire Spielweise. Der Berliner Rechtsaußen Holze foulte Schwerig ohne Ball und wurde deshalb in der 37. Minute des Feldes verwiesen. Daß Dynamo von vornherein konzentriert spielte, bewiesen schon die Anfangsminuten. Sofort machte sich das spielerische Übergewicht der Hauptstädter bemerkbar. Ballbehandlung, Annahme, Abgabe, Dribblings, das sah bei den Dynamospielern elegant und mühelos aus. Das Mittelfeld beherrschten Berlins technisch ausgezeichnete Außenläufer und Halbstürmer. Sie spielten nicht nur einmal ihre Gegenspieler aus, zogen die Aufmerksamkeit der Abwehr auf sich und setzten dann im richtigen Augenblick die schnellen und schußkräftigen Nebenleute ein.

Besonders Hänsicke imponierte, wenn er mit seinen raumgreifenden Schritten einem Ball nachjagte und in günstigen Situationen auch das Schießen nicht vergaß. Gerade das brachte Dynamo die drei wichtigen Tore. Hänsicke schoß bei allen drei Treffern scharf auf Haakes Gehäuse. Den ersten Ball konnte Chemies Torwart nur abpritschen. Holze vollstreckte dann unhaltbar. Bei Nummer zwei und drei fanden die Bälle des Berliner Mittelstürmers aus 16 Metern und aus unmöglich spitzem Winkel den Weg direkt ins Netz. Die 37. Minute, jene Minute, in der Holze vom Platz gestellt wurde, war Chemies große Chance. Mit elf Mann gegen nur 10 noch eine Stunde zu spielen und in der 41. Minute der Anschlußtreffer - das konnte noch gut gehen. Aber Chemie hatte keine gute Tagesform erwischt. Da halfen auch einige gelungene Paraden eines Haake nichts.

Da blieb auch Jureks aufopferndes Spiel ergebnislos und das änderte auch der in der zweiten Halbzeit eingesetzte Voigtmann nicht. Chemie Karl-Marx-Stadt fehlte das, was Dynamo zeigte, nämlich Technik, Gewandtheit, Abspiel in den freien Raum und das Freilaufen selbst. Immer wieder fuhren sich die Karl-Marx-Städter Stürmer mit ihrem engen Zuspiel fest. Weite Vorlagen endeten vor den Füßen eines Gegenspielers und hohe Abwehrschläge gingen ins Aus. Dazu kamen noch eine Reihe von Deckungsfehlern, die es den Berlinern erlaubten, auch nach dem Wechsel mit dezimierter Mannschaft so zu kombinieren, daß es manchmal den Anschein hatte, als ob sie es wären, die noch mit elf Mann spielten und nicht die Karl-Marx-Städter. Diese spielerische Überlegenheit fand schon bei den Verteidigern ihre Grundlage. Besonders Michael, aber auch Usemann und Bednarek brachten den Ball meistens flach oder halbhoch an den Mann.

Kreische und der etwas unauffällige aber wirkungsvolle Maschke verstanden sich ebenfalls gut mit ihren Vorderleuten. Unserer Meinung nach hatte Chemie auch einige taktische Fehler begangen. Der junge, noch nicht erfahrene Ahnert sollte die Kreise des Auswahl-Spielers Schröter stören. Dieser gab dem talentierten Chemie-Außenläufer jedoch manches Rätsel auf. Wäre es nicht besser gewesen, den kämpferisch stärkeren und unbekümmert spielenden Junige gegen Schröter einzusetzen und überhaupt gegen eine solch starke Stürmerreihe wie die der Berliner den als Läufer sehr wirkungsvollen Jurek zurückzunehmen? Für ihn hätte ja der Techniker Voigtmann stürmen können, zumal der glatte nasse Rasen dem "Schwarzen" besonders liegt. Schiedsrichter Köppke griff vom Anpfiff weg hart durch. Er hatte deshalb in der zweiten Spielhälfte keine Schwierigkeiten mehr.

BSG Chemie Karl-Marx-Stadt:
Haake; Kaiser, Riedel, Schwerig; Junige, Ahnert; Küchler (46. Voigtmann), Speck, Jurek, Lorenz, Ritter
SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael, Bednarek, Usemann; Kreische, Maschke; Holze (37. Platzverweis), Schröter, Hänsicke, Möbius, Matzen

0:1 Holze            (12.)
0:2 Hänsicke         (19.)
0:3 Hänsicke         (34.)
l:3 Küchler          (41.)

Schiedsrichter:      Köppke (Wusterhausen)
Zuschauer:           18.000


Horst Hirsch, Neue Fußballwoche, 07.12.1954