06. Spieltag 1954/55: SC Dynamo Berlin - ZSK Vorwärts Berlin 4:0

Stärke des Siegers: Läufer und "Halbe" / Mit Matzen stand ein tatendurstiger Vollstrecker zur Verfügung, der drei Tore erzielte / Mangelt es dem ZSK Vorwärts an taktischer Schulung?
Relativ schnell kam der SC Dynamo Berlin zu seinen Toren. Schon in der vierten Minute begann der Reigen mit einem Treffer des wieder überragenden Schröter. Hänsicke war mit einem Steilpaß losgebraust, Jaschke kam aus seinem Kasten herausgelaufen, Hänsicke schoß ab, traf aber nur den linken Torpfosten. Das Leder prallte von der Innenkante nach rechts ab. In halblinker Position lauerte Schröter, lief dem Ball völlig ungedeckt entgegen und schlug ihn direkt mit dem linken Fuß ins Netz. Schon weitere vier Minuten danach schoß Matzen das erste seiner drei Tore. Marotzke zögerte mit der Rückgabe des Leders an seinen Torwart, und wie es schien, in einer völlig harmlosen Situation. Er hatte wohl Matzen nicht bemerkt, der tatendurstig und torhungrig wie selten spielte. Jaschke war nur halb aus dem Tor herausgelaufen, und ehe Marotzke noch etwas daran ändern konnte, hatte der Dynamo-Linksaußen schon zugestoßen. Das Leder prallte noch vom Vorwärts-Mittelverteidiger ab und dann ins Netz.

Knapp eine halbe Stunde danach sicherte sich Dynamo bereits endgültig den Sieg. Möbius setzte mit einem schnurgeraden Paß seinen Linksaußen ein. Der lief etwa 30 Meter mit dem Ball allein auf das gegnerische Tor zu. Nahe dem rechten Pfosten stehend, brachte er den Ball aus einem unwahrscheinlich spitzen Winkel durch viele Beine hindurch. Von Händler wurde er abgefälscht und drehte in die lange Ecke. Den Schlußpunkt setzte Matzen in der 74. Minute unter die Torskala. Eilitz, der wegen einer nicht unempfindlichen Knöchelverletzung besser hätte ausgewechselt werden sollen, schoß seinen rechten Läufer Scherbaum an. Vom Vorwärts-Kapitän sprang der Ball zu Möbius, der zögerte nicht lange und schickte den in Mittelstürmerpostion lauernden Matzen in die Gasse. Noch im Fallen, von Marotzke wohl angegriffen, schlenzte er die Kugel mehr, als daß er sie schoß, in die linke untere Ecke, sehr plaziert zwar, aber ohne große Fahrt, so daß uns der Schuß haltbar erschien.

Jaschke "tauchte" zu langsam herunter. 4:0 also. Man hörte hinterher von manchem, daß dieses Resultat zu hoch ausgefallen und vor allen Dingen völlig überraschend sei. Wir wollen nicht darüber streiten, ob sich das eine oder andere Tor hätte vermeiden lassen. Tatsache ist, daß Jaschke keine übermäßig glückliche Figur in diesem Spiel machte. Aber Überlegungen dieser Art sind zumeist problematisch, und sie würden in diesem Falle auch dem Verlauf der Begegnung und der überragenden Leistung des SC Dynamo Abbruch tun. Es kann gar keinen Zweifel daran geben, daß die Volkspolizisten diesen Sieg gang einwandfrei verdient, und zwar hochverdient erspielt und erkämpft haben. In beiden Halbzeiten praktizierte Dynamo hochmoderne Spielweise. Hier offenbarten sich die großartigen technischen und auch kämpferischen Mittel, über die die Mannschaft verfügt. Es gab nahezu keinen Stillstand, weder in der Bewegung mit noch ohne Ball.

Außerdem wurde das Leder grundsätzlich direkt und flach weitergeleitet, immer suchte der freistehende Mann eine neue Position. Dabei hat der Angriff nicht einmal besonders stark den Positionswechsel angewandt. Die Deckung des Gegners wurde jedoch durch stelle Angriffe immer wieder durchbrochen. Dynamo befand sich überdies in prachtvoller Spiellaune. In den beiden Halbstürmern Schröter und Möbius verfügte die Elf über zwei erfahrene und überaus ballgewandte Spieler, die einen Sturm schon dirigieren können. Da sich Hänsicke in der letzten Zeit auch technisch enorm verbessert hat, schaltet er sich in die Kombinationen geschickt mit ein und ist mit seinem athletischen Körperwuchs und der daraus resultierenden Wucht seines Spiels eine ständige Gefahr für das gegnerische Tor. Es ist schade, daß der Mittelstürmer bei einem unglücklichen Sturz eine Bänderprellung im linken Knie erlitt. Für ihn kam dann ab der 50. Minute Duffke zum Einsatz. Dynamo hatte aber auch eine sehr gute Hintermannschaft.

Entgegen den Erwartungen zog sich die Verlegenheits-Verteidigung Haufe-Bethnarek-Usemann glänzend aus der Affäre: überraschend dabei die erstklassige Partie des nach langer Pause wieder einmal in der ersten Mannschaft eingesetzten Haufe, der einige saubere Schläge zeigte und absolut kaltschnäuzig abwehrte. Schon von ihnen aus gingen die Angriffe in Szene, das heißt, es wurde bereits aus der Deckung heraus klug aufgebaut und niemals sinnlos "gebolzt". Neben dem Sturm aber war das Glanzstück das Läuferduo Kreische-Maschke. Hier wurde deutlich offenbar, wieviel vor allem der rechte Läufer noch kann und wie Maschke sich in den letzten Wochen gesteigert hat. Gewiß: der schnellste ist Kreische nicht mehr, aber man muß seine Ruhe bewundern. Der Mann war nicht aus der Fassung zu bringen, leitete den Ball stets direkt weiter und jeder Paß kam auch genau an seine Adresse. Lehrreich waren auch ohne Zweifel die von Kreische vorgeführten Körpertäuschungen.

In den Schlüsselpositionen war also Dynamo erheblich stärker besetzt als der Gegner. Das sicherte der Elf auch zu gegebener Zeit die Beherrschung des Mittelfeldes. Läufer und Halbstürmer bildeten ein bewegliches und den Erfordernissen gewachsenes Quadrat - das war die spezifische Stärke des Siegers. Mit Linksaußen Matzen besaß er dazu einen formstarken Vollstrecker, der in allen drei Fällen ein Tor erzielte, wie es andere Stürmer in unserer Oberliga kaum fertiggebracht hätten. Dafür gebührt dem Außenstürmer ein besonderes Lob, ebenso wie seinem Kameraden Schröter, auf den sich wieder viele Blicke richteten. Den Trickreichtum dieses Spielers muß man bewundern. Beispielhaft auch der Ehrgeiz und die Kondition des Halblinken Möbius, der besonders in der zweiten Halbzeit starke Szenen hatte. Im Tor stand mit Klemm ein Hüter, der selbst in schwierigen Situationen das Leder sicher abfing. Ihm unterlief kein Schnitzer. Auch in der Zeit, in der Dynamo nach Traineranweisung auf betont sicherer Deckung beharrte (das waren etwa 25 Minuten der zweiten Halbzeit), hatte man nie das Gefühl, daß der Vorsprung eingebüßt werden könnte.

Dazu spielte die Mannschaft zu klug, zu clever, zu abgeklärt. In dieser Verfassung war sie absolute Klasse es wäre schön, wenn es immer so sein könnte! Dem ZSK Vorwärts fehlt es offensichtlich an einer gründlichen taktischen Schulung. Man weiß nicht mehr, wie man sich sonst die unmöglichen Karussellfahrten und Querpassagen im Angriff erklären soll. An mangelhafter Kondition kann es nicht liegen, denn die Elf hat kraftstrotzende und durchtrainierte Athleten und auch technisch begabte sowie kluge Spieler in ihren Reihen. Es bleibt auch unverständlich, wie der sich völlig außer Form präsentierende Welzel erst gegen Schluß ausgewechselt werden konnte. Ehe sich Mitzschke warmgelaufen hatte, ertönte schon der Schlußpfiff. Am besten fanden sich noch Wirth und der nun auch seinem ehemaligen Oberschöneweider Kameraden in seinem Entschluß, zur KVP zu gehen, gefolgte Mittelstürmer Assmy zurecht. Ihnen fehlte freilich noch die rechte Bindung zu ihren Nebenleuten. Man darf indessen hoffen, daß mit ihnen mehr Schwung in den Vorwärts-Angriff kommen wird.

Das bei 14:12 Punkten negative Torverhältnis von 19:20 sagt ja wohl genug aus! Aber auch in der Hintermannschaft wurden diesmal sehr viele Fehler gemacht. Erstaunlicherweise war die rechte Deckungsseite nicht im Bilde. Eilitz und Scherbaum liefen in der ersten Halbzeit oft ziemlich ratlos umher, sie wurden im zweiten Abschnitt etwas besser, aber für Scherbaum erschwerte sich die Aufgabe noch, weil Eilitz auf Grund einer Knöchelverletzung nicht einmal mehr auf halber Kraft lief. Dadurch hatte der rechte Läufer natürlich noch weit mehr Arbeit. Auch Marotzke ist in der letzten Zeit nicht mehr ganz sicher. Relativ am stärksten hat noch Händler gespielt, freilich kam ihm der einzige Fehler, der bei Dynamo gemacht wurde, entgegen: Lutz Schlosser wurde zuwenig eingesetzt. Ein Klassespiel war es, das den 12.000 Berliner Zuschauern am Jahresende geboten wurde. Trotz des glatten 4:0 gab es auch bei vorwärts noch viel Gutes zu sehen: elegante Ballführung, und kämpferischen Einsatz. Aber die Umständlichkeit muß aus der Mannschaft verschwinden, dann wird es auch wieder besser gehen!

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Haufe Bethnarek, Usemann; Kreische, Maschke; Schlosser, Schröter, Hänsicke (50. Duffke), Möbius, Matzen
ZSK Vorwärts Berlin:
Jaschke; Eilitz, Marotzke, Händler; Scherbaum, Reichelt; Weigel, Wolf, Assmy, Welzel (70. Mitzschke), Wirth

1:0 Schröter           ( 4.)
2:0 Matzen             ( 8.)
3:0 Matzen             (36.)
4:0 Matzen             (74.)

Schiedsrichter:        Reinhardt (Berlin)
Zuschauer:             12.000

Heinrich Müller, Neue Fußballwoche, 04.01.1955